Kapitel 95 - Dämon
Nitechore atmete tief durch. Jeder Zug brannte in seiner Brust, als würde seine eigene Lunge gegen ihn rebellieren. Sein Körper schmerzte von den letzten Gefechten, seine Muskeln und Knochen fühlten sich an, als stünden sie kurz davor, den Dienst zu verweigern. Void hingegen bewegte sich mit einer fast übermenschlich wirkenden Eleganz. Seine Portale öffneten sich wie schimmernde Risse im Raum. Aus ihnen schlug er unvorhersehbar zu, mal mit einem blitzschnellen Tritt, mal mit einem Dolchstoß, der aus einer anderen Richtung kam, als man ihn erwarten konnte. Gegenüber stand Sivaz.
Ein grelles Licht huschte über den Rand seines Sichtfeldes. Nitechore blinzelte, drehte den Kopf – und sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Am Horizont, wo das Schlachtfeld in Schutt und Rauch überging, stürmte eine Armee der Triklin heran. Dunkle Silhouetten, Hunderte von ihnen, liefen wie ein wogendes Meer aus Zähnen und Stahl auf die provisorische Basis zu.
Seine Augen suchten Void und fanden ihn. Noch immer hielt er stand. Noch immer kämpfte er unerschütterlich gegen Sivaz.
Er atmete erneut durch, diesmal langsamer und fester.
„Oh fuck, Samuel. Das sind echt viele.“
Theresa sprach mit gepresster, beinahe zittriger Stimme durch das Funkgerät. Nitechore hörte das Chaos im Hintergrund: panische Menschen, das Knirschen von Metall und das ferne Heulen der Triklin. Sie war mit Tavin im Lager der Polizei und versuchte verzweifelt, den Zivilisten zu helfen. Nitechore rannte, so schnell seine geschundenen Beine ihn trugen. Mit jedem Schritt klirrte seine beschädigte Rüstung, als wolle sie gleich in Stücke fallen. Rauch lag in der Luft. Verbrannte Elektronik, Blut und Schweiß vermischten sich zu einem unerträglichen Gestank. Als er das Lager erreichte, sah er, dass die Lage bereits außer Kontrolle geraten war. Barnowl hatte sich mit schnellen Bewegungen zwischen die Menschen gedrängt und half ihnen, Barrikaden zu errichten, während Tavin versuchte, für Ordnung zu sorgen und die Leute zu einem geordneten Rückzug zu bewegen.
Dann blieb Nitechore plötzlich stehen. Vor ihm, mitten im Tumult, tauchte Sabine auf. Ihre Augen waren voller Entschlossenheit, doch auch Furcht schimmerte darin. Sie kannte ihn nicht in dieser Gestalt, nicht hinter Helm und Rüstung.
„Sie ... Sie sollten sich zurückziehen“, brachte sie hervor, ihre Stimme bebte leicht. „Ihre Rüstung ist beschädigt.“ Nitechore senkte kurz den Blick. Tatsächlich waren die Panzerplatten an seiner Brust aufgerissen und die Gelenke voller Risse. Jeder andere hätte längst aufgegeben. Doch er schnaubte nur, zwang sich zu einem rauen Lächeln. „Ich glaube, Sie sind kein ausreichender Dämon, um das ohne Rüstung machen zu können.“ fügte Sabine hinzu. Die neue Rüstung schien zumindest einen Namen zu prägen, dachte Nitechore.
„Muss nun hinhauen“, murmelte er fast schon trotzig.
Ein Schrei durchschnitt die Luft.
„Triklin!“, brüllte einer der Polizisten, die am Rand der Barrikade standen.
Wie auf Kommando änderte sich die Stimmung.
Er trat ohne zu zögern nach vorne und stellte sich neben Tavin und Barnowl. Schulter an Schulter standen sie da, drei Krieger im Angesicht der Welle, die sich auf sie zuwälzte. Vor ihnen zeichneten sich die Silhouetten der Triklin im flackernden Licht der Explosionen ab: groteske, verzerrte Körper, die sich wie Raubtiere auf der Jagd im Zickzack bewegten.
„Keiner kommt hier durch“, knurrte Nitechore mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Barnowl spannte die Schultern, Tavin aktivierte seine Klingenarme und gemeinsam warteten sie auf den ersten Aufprall der Kreaturen. Die Triklin kamen immer näher, ihre Bewegungen unnatürlich schnell, als würden ihre Körper aus zuckenden Muskeln und pulsierenden Klingen bestehen. Die Polizisten im Hintergrund eröffneten das Feuer. Blaue Energiesalven zischten durch die Luft und schnitten kurze Lichtstreifen in die Dunkelheit, während das grelle Knistern der Waffen die Schreie der Flüchtenden übertönte. Einige der Kreaturen wurden getroffen, ihre Körper zuckten und explodierten in Funken, doch es waren einfach zu viele.
Barnowl stürmte nach vorne. Mit einer wuchtigen Bewegung ihrer Arme schlug sie gleich zwei Triklin beiseite, als wären sie aus Papier. Ihr Kampfstil war noch sehr untrainiert und dennoch unfassbar präzise. Neben ihr kämpfte Nitechore. Trotz seiner beschädigten Rüstung bewegte er sich geschickt und beinahe fließend. Er wirbelte durch die Reihen, nutzte den Schwung der Angriffe seiner Gegner gegen sie, packte sie, riss sie zu Boden und beendete den Kampf mit brutaler Effizienz. Jeder Schlag kostete ihn Kraft, jede Bewegung schmerzte, doch er zwang sich, nicht nachzugeben.
„Mehr nach rechts, Barnowl!“, rief er, während er mit dem Ellbogen das Gesicht eines Triklin zertrümmerte.
Da erhob sich Tavin. Mit einem Sprung, begleitet von einem Schub, schnellte er hoch in die Luft. Sein Körper transformierte sich, seine Rüstung öffnete sich und formte sich zu einer Art Geschützplattform. Augenblicke später war er keine einfache Figur mehr im Kampfgetümmel, sondern eine lebendige Artillerie. Aus seinem Rücken schossen Energiegeschosse, die wie lodernde Pfeile durch die Reihen der Triklin brannten. Jeder Treffer verwandelte eine ganze Gruppe der Biester in aufblitzende Staubwolken. Die Luft vibrierte bei jedem Schuss und die Erde bebte, wenn die Einschläge ganze Fetzen der Straße wegsprengten.
„Gebt nicht nach!“, schrie Tavin von oben, seine Stimme verzerrt. „Sie brechen gleich durch!“
Barnowl und Nitechore hielten die Stellung, während über ihnen die Salven wie ein Sturm aus Licht niederprasselten. Doch je mehr sie niedermachten, desto mehr schienen aus der Finsternis nachzuströmen. Es war, als ob das Dunkel selbst die Kreaturen gebar – unaufhörlich, unermüdlich, ein Albtraum ohne Ende.
Nitechore spürte, wie sein Herz raste, doch sein Blick blieb kalt und fokussiert. Neben ihm schrie Barnowl einen Urschrei, der durch Mark und Bein ging. Mit einer einzigen Drehung zerschmetterte er gleich vier Gegner.
Für einen kurzen Moment, während Tavins Energieblitze den Himmel zerfetzten und die Polizisten verzweifelt weiterfeuerten, wirkte es, als könnte die Verteidigung standhalten. Doch Nitechore wusste: Dies war nur der Anfang.
„Boss, ich hab eine Überraschung für dich“, meldete sich Tavins Stimme plötzlich durch das Synect, hektisch und vor Energie überschlagend.
„Egal, was es ist, mach es!“, knurrte Nitechore, während er sich mit letzter Kraft gegen eine weitere Welle von Triklin stemmte. Sein Atem ging schwer, seine Rüstung ächzte unter jedem Schlag. Dann hörte er es. Zunächst war es nur ein tiefes Summen, kaum wahrnehmbar zwischen dem Kreischen der Triklin und dem Donnern der Energiewaffen. Doch Sekunden später schwoll das Geräusch an und wurde zu einem Vibrieren, das durch den Boden drang und bis in seine Knochen vordrang. Es klang wie tausend Motoren, wie ein Sturm aus Metallflügeln.
Nitechore wirbelte herum und erstarrte.
Aus der Dunkelheit brach eine Wolke hervor, ein Schwarm, so dicht, dass er für einen Augenblick den Himmel verdeckte. Doch es waren keine Insekten. Es waren Custodians. Hunderte von ihnen, schwer bewaffnet, deren Augen und Waffensysteme wie ein Hagel aus rot-goldenen Lichtern glühten. In perfekter Formation rauschten sie heran, ihre Antriebe heulten wie ein gewaltiger Bienenschwarm, der den Tod im Schlepptau trug. Dann eröffneten sie das Feuer. Ein Feuersturm brach los. Präzise, vernichtend, gnadenlos. Energiegeschosse, Raketen und konzentrierte Strahlen fegten durch die Reihen der Triklin. In Sekundenschnelle explodierten Körper, zerrissen von den übermächtigen Salven. Der Boden bebte unter den Einschlägen und das Schlachtfeld erhellte sich in grellem, flackerndem Licht, als würden hundert Sonnen gleichzeitig aufgehen.
Nitechore stolperte zurück, halb benommen, halb erleichtert. Zum ersten Mal seit Stunden spürte er, dass die Übermacht der Feinde ins Wanken geriet. Zwischen den Schreien der Triklin hörte er das metallische Brüllen der Custodians, ihre synchronisierte Kriegsmelodie, die von Disziplin und reiner Vernichtung zeugte.
„Sag mir nicht, das sind alle deine Spielzeuge, Tavin“, keuchte Nitechore, während er den überwältigenden Anblick verfolgte.
„Boss, das ist nur die Vorhut!“, lachte Tavin triumphierend, seine Stimme über den Comlink donnernd.
Die Custodians preschten weiter, schlossen die Lücken. Die Polizisten feuerten mit neuer Hoffnung, und Barnowl stimmte ein donnerndes Gelächter an, während er in den Feind hineinbrannte.
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde sich das Blatt wenden.
Die gegnerische Armee lichtete sich nach und nach, doch von einem wirklichen Sieg konnte keine Rede sein. Überall krachte es. Energiewaffen heulten auf, Blasterfeuer zerriss die Nacht und zwischen den Trümmern von Saint Veronika schob sich Welle um Welle der Triklin nach vorne. Ihre Bewegungen waren grotesk, eine Mischung aus Raubtier und Maschine. Manche krochen auf allen Vieren, andere sprangen mit bizarrer Gelenkigkeit über zerfallene Mauern und wieder andere schienen durch die Luft zu gleiten, als würden ihre Körper von einer unbekannten Gravitation getragen.
„Theresa, hilf den Polizisten!“, rief Nitechore mit rauer, atemloser Stimme. Er musste schreien, um gegen den Lärm der Schlacht anzukommen. Funken stoben von seiner beschädigten Rüstung, als er eine weitere Attacke parierte. Seine Anzeigen flackerten und die Energie seines Anzugs sank bedrohlich schnell. Theresa nickte knapp, ohne ein Wort zu sagen, und rannte los. Ihre Schritte waren schnell und präzise, getragen von Entschlossenheit.
„Geht!“, brüllte Nitechore diesmal zu beiden.
Theresa machte sich auf den Weg und die Polizisten erkannten ihre Chance. Sie folgten ihr hastig aus dem Gefahrenbereich, ihre Schritte waren schwer vor Angst und Erschöpfung. Einige von ihnen stolperten, einer fiel und wurde sofort von zwei Kameraden hochgerissen, bevor die Triklin sie erreichten. Doch der Rückzug war kein einfacher. Die Triklin spürten die Bewegung und das Schwinden der schwächeren Beute. Wie Raubtiere, die Blut in der Luft wittern, richteten sich Dutzende Augenpaare auf die fliehenden Polizisten. Mit einem gellenden, unmenschlichen Kreischen brach ein ganzer Trupp aus den Linien heraus. Ihre klauenbewehrten Gliedmaßen fuhren aus, ihre Zungen schnellten zwischen aufgerissenen Mäulern hervor und sie stürzten sich auf die fliehenden Menschen.
Nitechore reagierte sofort. „Tavin! Halt sie auf!“
„Schon dabei!“, antwortete Tavin. Mit einem gewaltigen Satz sprang er in Richtung der angreifenden Triklin, riss sich ein Stahlrohr aus den Trümmern und schwang es wie eine Keule. Knochen splitterten, Schädel wurden zertrümmert, als Barnowl wie ein Berserker durch ihre Reihen pflügte. Jeder Schlag ließ den Boden erzittern und wurde von einem markerschütternden Schrei der Gegner begleitet. Nitechore selbst preschte vor. Sein beschädigter Anzug ächzte unter der plötzlichen Beschleunigung, doch er ignorierte das Alarmsirren in seinem Helm. Mit gezielten Schlägen schnitt er durch die ersten Reihen der Triklin. Sein Enterhaken schnellte hervor und riss eine der Kreaturen mit einem metallischen Knacken von den Beinen.
Theresa, die die Polizisten anführte, schaffte es, sie hinter eine halb eingestürzte Häuserwand zu bringen, wo sie kurz in Deckung gehen konnten. „Weiter!“, rief sie. „Wir müssen weiter nach Osten! Dort bauen sie die zweite Linie auf!“
Doch die Triklin gaben nicht nach. Sie schienen endlos, ein Schwarm, der immer wieder neue Gestalten aus der Dunkelheit hervorbrachte. Ihre Leiber schimmerten im Feuerschein und ihre Bewegungen waren so schnell, dass sie kaum zu verfolgen waren. Immer wieder stürzten sie sich auf Nitechore und Tavin, die Seite an Seite kämpften.
Nitechore spürte, wie seine Muskeln brannten, doch sein Geist war messerscharf. Er duckte sich, blockte, rammte einem Gegner die metallene Schulter seines Anzugs in den Brustkorb und hörte das Knacken der Rippen. Ein anderer kam von der Seite, seine Klauen blitzten, doch Barnowl riss ihn mit bloßen Händen zu Boden und zertrümmerte ihm mit einem wütenden Knurren das Rückgrat.
„Es werden nicht weniger!“, stellte Tavin fest, während das Blut von seinen Fäusten tropfte.
„Wir müssen Zeit schinden!“, rief Nitechore zurück. „Solange die Polizisten fliehen, müssen wir hier bleiben!“
Dann ein donnernder Knall. Die Custodians hatten aus der Luft eine Salve losgelassen, die einen ganzen Trupp der Triklin in einem gleißenden Feuerball hatte verschwinden lassen. Staub und Rauch stiegen auf, verbrannte Körper flogen durch die Luft.
„Ich bin noch da, Boss!“, rief Tavin triumphierend durch das Synect.
Nitechore nickte, auch wenn das niemand sehen konnte. „Dann lass uns das hier beenden.“
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