Kapitel 91 - Pause
Caleb atmete schwer. Seine Lungen brannten, als würde jeder Atemzug ihn zerreißen. Tierroth stand nur wenige Meter vor ihm, wie ein Raubtier, das sich die Zeit nahm, mit den Nerven seiner Beute zu spielen. Caleb spürte den kalten Schauer, der ihm den Rücken hinablief, so heftig, dass er kaum wusste, ob er noch stand oder schon zu fallen begann. Mit einer kaum merklichen Bewegung kamen die Stinger zurück in seine Hände, als wollten sie ihm Mut machen. Doch der Mut schien wie Sand durch seine Finger zu rinnen. Tierroth bewegte sich nicht. Er stand da mit dieser unnatürlichen Ruhe, als wüsste er längst, wie alles enden würde. Orion zielte auf Tierroth, doch jeder wusste das es nicht viel bringen würde. Redcoat. war zu weit. entfernt.
„Worauf wartest du?“, brachte Caleb hervor. Seine Stimme zitterte, sein Atem war ungleichmäßig und jeder Satz war ein Kampf gegen das pochende Herz in seiner Brust.
Tierroth legte den Kopf leicht schräg. Die Fratze, die sich über sein Gesicht legte, war mehr als nur ein Lächeln, es war blanke Verachtung, ein widerliches, höhnisches Grinsen, das sich in Calebs Kopf einbrannte.
„Soll ich dir dein Lachen entfernen?“, keuchte Caleb. Die Worte waren halb Drohung, halb verzweifeltes Aufbäumen.
Hinter ihm hörte er die anderen, doch sie wirkten wie Schatten in einem Traum, weit weg. Die Geräusche des Kampfes und der Welt um ihn herum verblassten, als wäre nur noch dieser Moment übrig: Caleb gegen Tierroth.Dann bewegte sich Tierroth. Kein Zögern, keine Warnung, nur pure Gewalt. Er holte aus und die Kraft, die sich in seiner Faust sammelte, ließ die Luft um sie herum beben. Caleb sah es kommen, spürte, wie sein Herz irrwitzig schnell schlug, viel zu schnell, als wolle es ihm aus der Brust springen. Alles schien sich in Zeitlupe zu bewegen, und gleichzeitig wusste er, dass er nichts tun konnte. Er war zu langsam, zu schwach, gefangen in einem Moment, der ihn verschlingen wollte.
Und dann ein Donnern.
Ein gellend lautes, klatschendes Geräusch zerriss die Szenerie, als ob die Welt selbst explodierte. Etwas traf Tierroth mit der Wucht eines fahrenden Busses, nein, es war sogar noch schlimmer, es war wie der Schlag eines gigantischen Hammers aus reinem Feuer. Ein oranger Schimmer, gleißend und unwirklich, raste über ihn hinweg. Der Luftzug peitschte Caleb so stark ins Gesicht, dass er zurücktaumelte. Schmerz brannte in seiner Haut, seine Haare flogen nach hinten, Staub wirbelte auf und nahm ihm kurz die Sicht. Er rang nach Atem, als hätte man ihm die Lungen leer geschlagen.
Verwirrt blinzelte er und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Da, auf dem Schutt der zerstörten Gebäude, lag Tierroth. Er sah aus, als hätte ein Sturm ihn gegen die Erde geschleudert und er war nicht in der Lage, sofort wieder aufzustehen.
Und neben ihm stand eine Gestalt.
Ein Mann in einer Rüstung, deren Oberfläche in kräftigem Orange leuchtete, als hätte sie das Licht der Sonne selbst eingefangen. Jede Kante seiner Panzerung funkelte und jeder seiner Schritte ließ den Boden beben. Der Helm mit dem auf Caleb gerichteten Visier wirkte wie die Verkörperung unerschütterlicher Stärke.
Calebs Herz schlug noch immer rasend, doch ein neues Gefühl drängte sich durch die Furcht: Hoffnung.
Tierroths Bewegungen waren genauso verwirrt wie Calebs Gefühle. Er rappelte sich auf, seine Muskeln zuckten unter der Haut, und seine Augen sprühten vor Zorn. Er schüttelte den Staub von sich, blinzelte, als wolle er begreifen, was ihn gerade erwischt hatte. Caleb hingegen stand wie erstarrt da, sein Herz hämmerte noch immer, er atmete flach und war unfähig zu glauben, was er sah.
Zwischen ihnen stand der Mann in der orangenen Rüstung, scheinbar völlig unbeeindruckt von der Verwüstung um ihn herum. Er hob langsam eine Hand, als hätte er gerade ein Café betreten, und grinste freundlich in Richtung der Gruppe.
„Hey, Freunde!“ Seine Stimme war hell, fast singend, durch den Helm leicht verzerrt. „Ich bin Amberlight …“
Tierroth, der immer noch zwischen Wut und Orientierungslosigkeit schwankte, stieß ein kehliges Knurren aus. Mit einem wuchtigen Schlag holte er zu einem Angriff auf Amberlight aus, der mühelos Mauern hätte zertrümmern können. Doch Amberlight machte nur einen kleinen Schritt zur Seite, beinah beiläufig, als hätte er einem aufdringlichen Kellner ausgewichen.
„Uff, was für ein Arsch, oder?“ Er stand plötzlich neben Caleb und den anderen, als wäre er von der Luft hierhergetragen worden. Er klopfte sich unsichtbaren Staub von der Schulter und drehte sich halb zu Tierroth zurück. „Ey, Mann, lass mich mal ausreden!“
Dann wandte er sich wieder der Gruppe zu, als sei nichts gewesen.
„Also, ich bin Amberlight und ein Freund von Nat …“ Er räusperte sich und fuhr sich fahrig mit der Hand an den Helm, als hätte er beinahe etwas verraten. „Ich meine natürlich Atlon. Er hat mich geschickt, um euch zu helfen.“
Er zwinkerte übertrieben und fast komisch unbeholfen, als wolle er betonen: „Vertraut mir, auch wenn ich gerade alles andere als vertrauenswürdig wirke.
Die Gruppe starrte ihn nur an, gefangen zwischen Fassungslosigkeit und Erleichterung. Caleb bemerkte, wie Malik die Stirn runzelte, während Tasha kaum wusste, ob sie lachen oder weinen sollte.
Amberlight schien das nicht weiter zu stören. Er schnippte mit den Fingern und zeigte dann mit ausgestrecktem Arm auf Tierroth. „Okay … ähm … ich hab da wohl noch was zu erledigen.“
Er atmete tief durch, schüttelte sich, als wolle er Mut sammeln, dann drehte er sich auf dem Absatz um. „Ey, Tierroth, ich komme wieder!“
Im selben Moment löste er sich vor den Augen der Gruppe auf, als hätte ihn ein Lichtstrahl verschluckt, und stand keine Sekunde später direkt vor Tierroth. Er war ihm so nah, dass er fast mit der Stirn gegen dessen Brustplatte stieß.
„Na, hab ich dich vermisst?“, grinste er, als wäre das hier ein freundschaftliches Wiedersehen, während Tierroths Faust bereits zum nächsten Schlag ausholte.
Amberlight bewegte sich so schnell, dass nur ein greller, orangefarbener Schweif zurückblieb. Innerhalb weniger Herzschläge wirbelte er um Tierroth herum, bis sich ein leuchtender Ball aus Licht und Bewegung bildete. Drinnen knallte ein Schlag nach dem anderen auf den Koloss ein, so schnell, dass selbst Caleb nur verschwommene Silhouetten erkennen konnte. Jeder Treffer ließ die Luft erzittern und ein dumpfes Grollen hallte durch die Straßen.
„Ich … ich weiß nicht, was da gerade passiert“, murmelte Doug atemlos und starrte gebannt auf das tobende Spektakel. Die anderen nickten stumm, unfähig, ein Wort herauszubringen.
Caleb spürte, wie sich die Luft um sie herum auflud. Winzige Funken knisterten in der Dunkelheit, als würde die Energie von Amberlight die Umgebung mitreißen. Sein Herz schlug schneller. Er fühlte sich gleichzeitig überwältigt und elektrisiert wie vor einem Sturm. Orion und Redcoat kümmerten sich Währenddessen um die Triklin.
Doch dann, ohne jede Vorwarnung, zerschlug ein wuchtiger Schlag von Tierroth die orangene Kugel. Mit einem einzigen Treffer schleuderte er Amberlight wie ein Spielzeug durch die Luft. Ihr Körper krachte durch Trümmer, Steine barsten und Staubwolken stiegen auf.
Einen Moment lang herrschte gespenstische Stille. Dann regte sich etwas. Amberlight richtete sich langsam auf und hustete, während Schutt von seiner Rüstung rieselte. Sein Gesicht war mit Staub verschmiert, doch seine Zähne blitzten in einem entwaffnenden Lächeln.
Er hob die Hand, als wolle er beschwichtigen. „Alles gut … keine Sorge, ich hab das im Griff.“
Caleb konnte kaum glauben, dass jemand nach so einem Schlag noch aufrecht stehen konnte. Doch Amberlight nahm Anlauf, stemmte die Füße in den Boden und rannte los. Mit einem ohrenbetäubenden Knall durchbrach er die Schallmauer und seine Faust schlug direkt in Tierroths Brust ein. Der Aufprall war so gewaltig, dass der Riese wie eine Kanonenkugel durch die Luft flog und hunderte Meter entfernt in ein Gebäude krachte.
„Ups, sorry, Leute“, rief Amberlight, während er sich die Finger ausschüttelte. „Das war wohl etwas zu viel.“
Doch bevor jemand reagieren konnte, begann die Luft zu flirren. Tierroth erhob sich aus den Trümmern, doch er war nicht mehr derselbe. Seine Bewegungen waren jetzt schneller, präziser, beinahe unheimlich. Mit einem tiefen, grollenden Brüllen verschwand er, nur um im nächsten Augenblick hinter Amberlight aufzutauchen.
Ein Schlag. Dann wieder Stille. Dann tauchte er an einer anderen Stelle auf und traf Amberlight erneut. Es war, als würde Tierroth in einem neuen Rhythmus kämpfen, ein tödliches Spiel aus Erscheinen und Verschwinden.
Amberlight fing einen Hieb ab und lachte keuchend. „Okay, das ist neu.“ Doch schon wurde er vom nächsten Schlag getroffen, der ihn gegen den Asphalt krachen ließ.
Minuten waren vergangen. Doch Tierroth wirkte unermüdlich, als würde er niemals erschöpft sein. Schlag um Schlag krachte auf Amberlight nieder. Sie kniete im Staub, die Arme schützend vor dem Körper, während sich ihre Brust schwer hob und senkte. Jeder Hieb hallte wie ein Donnerschlag durch die Ruinen.
Doch Amberlight zeigte keine Furcht. Seine Augen waren geschlossen, seine Gesichtszüge konzentriert. Er ließ die Treffer zu, als warte er auf etwas. Caleb spürte, dass hier mehr geschah als nur ein Kampf.
Tierroth lachte tief und kehlig, überzeugt davon, die Oberhand zu haben. „Du bist am Ende!“, brüllte er und holte zum nächsten Schlag aus.
Doch plötzlich eine Bewegung, so schnell, dass das Auge sie kaum erfassen konnte. Amberlight sprang hoch und stand einen Herzschlag lang federleicht auf den Fußspitzen … und verschwand.
Nur ein flackernder, orangefarbener Kreis zog sich blitzartig um den gesamten Kampfplatz, als hätte er die Luft selbst durchtrennt. Die Gruppe hielt den Atem an, als plötzlich ein gleißender Blitz von unten nach oben schoss.
Amberlights Faust krachte unter Tierroths Kinn. Der Aufprall ließ den Koloss wie ein Katapultgeschoss in den Himmel schnellen.
„Was zum …?!“, stieß Doug hervor.
Noch bevor Tierroth wieder die Kontrolle gewinnen konnte, war Amberlight hinter ihm her. In der Luft verwandelte er sich in ein Sturmfeuerwerk. Seine Fäuste hämmerten mit atemberaubender Geschwindigkeit auf den Gegner ein, wie das Rattern eines Maschinengewehrs. Jeder Treffer ließ Schockwellen durch die Wolken jagen.
Und dann, auf dem Höhepunkt des Kampfes, packte Amberlight Tierroth mit einem unnachgiebigen Griff. Er riss ihn nach unten und gemeinsam schossen sie zurück zur Erde. Immer schneller, immer tiefer, die Schwerkraft beschleunigte sie unbarmherzig.
Ein ohrenbetäubender Knall erschütterte die Stadt, als sie aufschlugen. Eine gigantische Staubwolke breitete sich aus und verschluckte alles in ihrer Nähe.
Sekunden verstrichen. Dann löste sich die graue Wand.
Amberlight stand am Rand der Gruppe, hatte Staub und Schweiß auf der Stirn und atmete schwer. Mit einem lockeren Grinsen hob er die Hand und winkte ihnen zu, als sei nichts geschehen.
„Ich glaub, ich brauche eine Pause.“
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