Kapitel 80 - Aquarium

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Das städtische Aquarium von Saint Veronika lag im Dunkeln. Die Tore waren längst geschlossen und kein Besucher verirrte sich mehr hierher. Nur das leise Blubbern der Filteranlagen und das gedämpfte Surren verborgener Pumpen erfüllte die Hallen mit einem schwachen, beinah beruhigenden Klangteppich. Sanftes, blaugrünes Licht fiel von den großen Schauaquarien auf die Wege und warf wabernde Reflexe an die Wände. Die Fische glitten lautlos durch ihr künstliches Reich, und ihre Schatten tanzten wie geisterhafte Schemen über Glas und Boden. Die Szenerie wirkte beinahe unwirklich friedlich, zugleich aber auch gespenstisch und kühl.

Auf einer steinernen Bank zwischen zwei riesigen Becken voller Quallen und Muränen saß reglos ein Mann. Die Hände hatte er ruhig im Schoß gefaltet. Er trug eine lange, rote Tuchrobe, deren Stoff schwer auf dem Boden auflag. Sein Gesicht verbarg eine schwarze Maske, über der ein rotes Tuch wie ein Schleier lag und jede Spur von Haut verdeckte.

Sein Blick war fest auf das Aquarium vor ihm gerichtet. Hinter der Glaswand stiegen winzige Bläschen auf, während Rochen träge durch das Wasser glitten. Die Stille war so dicht, dass man den eigenen Herzschlag fast hören konnte.

Dann klangen Schritte über den Boden. Hart, gleichmäßig, selbstbewusst. Ein weiterer Mann trat aus dem Schatten eines Torbogens hervor. Er trug die Uniform einer Spezialeinheit: dunkler, gepanzerter Stoff, der seinen kräftigen Körper betonte. Auf dem Rücken ruhte ein Katana in einer schlicht gehaltenen Scheide und an beiden Oberschenkeln steckten Pistolen in Halftertaschen.

Auch sein Gesicht verbarg sich hinter einer grauen, glatten Maske ohne Mundöffnung. Nur die beiden Augenöffnungen leuchteten in einem unnatürlich grellen Pink, wie zwei pulsierende Kristalle.

Der Mann auf der Bank sprach zuerst, seine Stimme war tief, ruhig und durchdringend. „Silence!“ Er hob den Kopf leicht, ohne sich umzudrehen. „Ich habe auf dich gewartet.“

„Prophet, unser Treffen ist erst in fünf Minuten verabredet“, sagte Silence. Seine Stimme klang metallisch durch einen Modulator, der selbst vertraute Laute kalt und fremd wirken ließ. Langsam ließ er sich neben Prophet auf der Bank nieder. Die bunten Lichtreflexe der Aquarien tanzten über ihre Masken und warfen flirrende Muster auf den Boden.

„Wie läuft der Plan?“, fragte Prophet mit ruhiger, beinah neugieriger Stimme und richtete den Blick noch immer auf das Wasser.

„Wir haben in Saint Veronika bereits siebzig Prozent Kontrolle erreicht“, antwortete Silence und verschränkte die Arme vor der Brust. „Die meisten kritischen Punkte wurden unbemerkt neutralisiert. Die letzten Probleme sind vernachlässigbar, kaum mehr als ein paar störende Insekten.“

Er lehnte sich etwas zurück, während hinter dem Glas ein Schwarm kleiner Fische vorbeizog und ihr Gespräch wie eine lebendige Leinwand untermalte. „Alles deutet darauf hin, dass unser Plan funktioniert. Sobald Saint Veronika vollständig gefallen ist, wird der Rest der Vereinigten Republik kaum mehr als ein Schattenkampf sein. Wir werden sie im Handumdrehen zu Fall bringen.“

Prophet atmete kaum merklich ein, ein leises, kaum hörbares Geräusch. „Das freut mich, Silence“, sagte er mit einem Unterton kühler Genugtuung. „Solange wir von eurer Arbeit profitieren, wird alles klappen.“

Für einen Augenblick herrschte Stille. Man hörte nur das gleichmäßige Blubbern des Wassers und das dumpfe Pochen eines fernen Wasserfilters.

Dann wandte Silence den Kopf und starrte Prophet mit seinen leuchtenden Augen an. „Was ist euer Ziel?“ Seine Stimme klang lauernd, als wolle er mehr erfahren, als ihm zustand.

Prophet schwieg. Nur das Licht der Aquarien spielte auf seiner dunklen Maske. Schließlich antwortete er mit ruhiger, beinahe sanfter Stimme: „Das wissen nur wenige Mitglieder. Und du gehörst nicht dazu.“

Er wandte sich langsam dem Aquarium zu. „Du musst darauf vertrauen, Silence. Alles, was zählt, ist, dass jeder seinen Teil spielt.“


Das Wasser vor ihnen glitzerte, als ein einzelner Rochen vorbeizog. Für einen Moment schien selbst das blaue Licht schwerer zu wirken, während sich über ihnen ein Schatten ausbreitete, als wäre die ganze Stadt kurz in den Tiefen verschwunden.

„Was wollt ihr?“ Die Frage klang diesmal noch drängender, beinah wie ein Befehl, als Silence sie durch den Verzerrer seiner Maske in den stillen Raum warf.

Prophet lachte leise, ein dunkles, kehliges Lachen, das in der blauen Stille unheimlich widerhallte. „Das Ziel ist zu groß für dich, Silence.“ Seine Stimme klang dabei fast spöttisch, als würde er einem Kind erklären, dass es Dinge gibt, die es noch nicht verstehen kann. Langsam erhob Prophet sich von der Bank, sein rotes Tuch raschelte dabei leise. Er ging zu einem der größten Aquarien, in dem schimmernde Quallen in zähem Rhythmus auf- und abschwebten. Mit einer bedächtigen Geste legte er seine Hand an die Glaswand.

Für einen Moment schien nichts zu passieren, dann begann sich das Glas wellenartig zu verflüssigen, als würde es unter seiner Berührung schmelzen. Mit einem letzten Blick über die Schulter verschwand Prophet, trat durch die durchlässige Wand und ging in die dunkle, geheimnisvolle Tiefe des Beckens, bis das Wasser ihn vollständig verschluckt hatte.

Silence sprang auf, seine Augen leuchteten heller, während er das Verschwinden von Prophet verfolgte. Einen Atemzug lang herrschte absolute Stille, nur das dumpfe Gurgeln des Wassers war zu hören. Dann jedoch bebte der Boden unter seinen Füßen, als das Aquarium plötzlich berstend aufbrach. Mit einem grollenden Krachen ergoss sich eine gewaltige Flutwelle in den Raum. Tausende Liter Wasser rissen über Bänke, Bodenfliesen und gläserne Trennwände hinweg. Fische wirbelten in der Strömung, während die Flut alles mit sich riss.

Doch Silence reagierte schnell: Er wirbelte herum, riss die Tür auf und stürzte hinaus, während das tosende Wasser immer näher kam. Kaum hatte er das Gebäude verlassen, brach eine Wand krachend ein und spuckte eine Wasserfontäne aus, die brodelnd die Treppen hinunterrauschte.

Im blassen Licht der Straßenlaternen blieb Silence für einen Moment stehen; seine Brust hob und senkte sich schnell. Dann verschwand er lautlos in der Nacht, während hinter ihm das Aquarium von Saint Veronika im Chaos versank.


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