Kapitel 78 - Lieferdienst
Ein leises Vibrieren durchzog den Dachboden, kaum hörbar, aber deutlich spürbar im Holz unter ihren Füßen. Es war, als würde das ganze Haus leicht beben, als ob es auf etwas wartete. Wie in den letzten Wochen saßen Malik, Caleb und Tasha in der staubigen Stille des alten Hauses von Herakles. Die Luft war abgestanden, draußen flirrte die Welt in einem düsteren Violettgrau, das der Himmel seit dem „Regen” angenommen hatte. Vor ihnen knisterte der alte Polizeifunk in unregelmäßigen Abständen. Zwischen langen Momenten der Stille waren verzerrte Stimmen zu hören, Berichte über unerklärliche Vorkommnisse, kryptische Codes, hektische Atemzüge – nichts Greifbares, aber genug, um das ungute Gefühl im Magen zu nähren.
„Was meint ihr, was das ist?“, fragte Malik leise. Er warf einen Blick zum Fenster, als erwarte er, dass gleich einer dieser schwebenden Steine vorbeigleiten würde. Seine Stimme klang nicht wie eine echte Frage, sondern wie ein Versuch, der Stille zu entkommen.
„Halt irgendwelche Aliensteine. Oder Tech-Schrott von der Citadel, der vom Himmel fällt“, murmelte Caleb. Er saß mit verschränkten Armen da und runzelte die Stirn. „Ich habe versucht, Nathaniel zu erreichen. Aber seit Wochen bekomme ich ihn oder Takashi nicht mehr ans Synect.“ Er klang frustriert, beinahe erschöpft. Tasha, die auf einer zusammengefalteten Decke saß, starrte ins Funkgerät, als könnte sie es mit bloßer Willenskraft dazu bringen, endlich eine Antwort zu geben. „Ich vermute, die bereiten sich akribisch auf diese Aliens vor“, sagte sie. Ihre Stimme war ruhig, aber es schwang Unsicherheit mit.
„Ich hoffe“, seufzte Caleb und sein Blick wanderte zu dem alten Familienfoto, das noch immer schief an der Wand hing. Für einen Moment wurde es still.
„Ich hole das Paket in zwei Stunden im Golden Casino ab“, krächzte es plötzlich aus dem Polizeifunkgerät. Die Stimme war undeutlich und verzerrt, aber die Botschaft war klar. Alle drei blickten sofort auf.
„Warum sollte ein Polizist Pakete im Casino abholen?“, fragte Tasha und sah Caleb fragend an. Ihre Augen waren wachsam, ihre Haltung sofort angespannt.
Caleb hob eine Augenbraue. „Wir sollten das untersuchen“, sagte er ohne zu zögern. Es war keine Frage, sondern eine Entscheidung. Er stand auf, zog seine Jacke über und blickte zu den anderen. „Das klingt zu seltsam, um Zufall zu sein.“
Malik nickte zustimmend und schob die Antenne des Funkgeräts zurück. „Wenn da wirklich was im Busch ist, sollten wir schneller sein als die, die es vertuschen wollen.“ Ohne ein weiteres Wort gingen sie hinunter zum Hintereingang des alten Hauses. Der Flur roch noch immer nach altem Holz, Staub und Vergangenheit. Als sie die Tür öffneten, schlug ihnen die feuchte, unruhige Luft entgegen, die von dieser elektrischen Spannung erfüllt war, die seit dem Himmelsevent über der Stadt hing.
Draußen stand es noch genau da, wo sie es zuletzt abgestellt hatten: das alte Skidcar vom Repast. Es war ein kantiges, robustes Modell mit mattgrauem Lack, das einst für Lieferungen gebaut worden war. Der Lack war verstaubt, die Reifen leicht eingesunken, als hätte das Fahrzeug auf sie gewartet.
„Es fühlt sich komisch an, es ohne ihn zu benutzen“, murmelte Malik, während er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Tasha ließ sich hinter das Steuer fallen und drehte sich kurz zu Caleb um. „Wollen wir das echt durchziehen?“
Caleb nickte. „Wenn irgendjemand hier Antworten hat, dann die Leute im Golden. Und ich habe keine Lust mehr, nur zuzusehen.“
Tasha startete den Motor und das Skidcar setzte sich mit einem tiefen Brummen in Bewegung, hinaus in die Stadt.
Eineinhalb Stunden später rollte das Skidcar langsam durch die glitzernden Straßen und kam schließlich vor dem Golden Casino zum Stehen, einem übergroßen, hell erleuchteten Bauwerk aus Glas, Licht und kitschigem Glamour. Es lag in einem viel zu schicken Stadtteil, in dem selbst die Bürgersteige aussahen, als wären sie poliert worden. Caleb lehnte sich im Beifahrersitz nach vorn, sah auf das flackernde Leuchtschild über dem Eingang und verzog das Gesicht. „Der Name des Casinos ist wirklich lame“, murmelte er und lachte abfällig. „Golden Casino. Das klingt wie ‚Goldener Löffel‘ für Leute, die zu viel Geld und zu wenig Geschmack haben.“
Tasha nickte mit einem schiefen Grinsen. „Und dann auch noch mitten in so einem Viertel. Hier trägt selbst der Sicherheitsdienst Designeranzüge.“
Die drei saßen still im Skidcar und beobachteten das Geschehen. Menschen in glitzernden Kleidern und maßgeschneiderten Anzügen gingen ein und aus.
Die Minuten vergingen, bis endlich ein Mann in dunkler Polizeiuniform um die Ecke bog. Er ging ruhig und beinahe selbstsicher, schaute sich aber immer wieder um. Es war kein Streifengang, er war wegen etwas Konkretem hier. Das Ziel hatte ein Gesicht.
„Da ist er“, sagte Malik leise. Er setzte sich auf und warf einen letzten Blick auf Tasha und Caleb. Dann zog er die Kapuze seiner dunklen Jacke tief ins Gesicht, sodass nur noch sein Kinn und der Schatten seiner Augen sichtbar waren. „Ich folge ihm. Ihr bleibt hier.“
Tasha wollte etwas sagen, hielt sich dann aber zurück. Sie wusste, dass Malik wusste, was er tat. Caleb nickte knapp. „Sei vorsichtig, ja? Und kein Heldenscheiß.“
Malik öffnete die Tür, glitt fast lautlos hinaus und verschmolz in wenigen Schritten mit der Menge auf dem Bürgersteig. Er hatte in seiner Kindheit auf der Straße gelernt, sich unsichtbar zu machen, und heute würde er dieses Talent wieder brauchen. Caleb und Tasha beobachteten ihn, bis er zwischen den Lichtreflexen des Casinos verschwand.
„Ich hasse sowas“, flüsterte Tasha. Caleb sah zu ihr rüber. „Ich auch. Aber wenn wir rausfinden wollen, was da läuft, müssen wir es genauso machen.“
Malik fiel zwischen all den Menschen kaum auf. Mit seinen Abendkleidern, Maßanzügen und elegant parfümierten Gestalten wirkte er wie jemand aus dem Reinigungsteam oder ein Bote – jemand, den man nicht beachtete. Genau das war sein Ziel. Innerlich tobte jedoch ein Sturm. Die Situation war völlig surreal. Ein Alienraumschiff schwebte über Terra. Steine, schwarz und pulsierend, waren wie ein leiser Vorbote einer größeren Katastrophe vom Himmel gefallen. Und dennoch … hier? Hier taten die Menschen so, als wäre nichts gewesen. Sie tranken Cocktails, warfen Chips auf Roulette-Tische und lachten in glitzernden Salons. Das reiche Volk ignorierte das Unheil, als wäre es eine TV-Serie, die sie einfach wegschalten konnten.
Malik schüttelte leicht den Kopf. „Verdammter Wahnsinn“, murmelte er kaum hörbar, während er den Polizisten fixierte, der zielstrebig zu einem der Hintereingänge des Casinos ging. Die Tür schloss sich nicht hinter ihm. Ein Fingerabdruck, ein Code, vielleicht ein Signal, was auch immer – der Mann hatte freien Zugang.
Malik wartete den richtigen Moment ab, dann schlüpfte er hinterher. Er bewegte sich ruhig, seine Schritte waren geübt lautlos, und er hielt immer genug Abstand. Die dahinter liegenden Flure waren karg und funktional – die Welt hinter den Kulissen. Hauswirtschaftsräume, Putzwägen, ein beißender Geruch nach Desinfektionsmittel und alten Teppichen lag in der Luft. Eine Fliege summte irgendwo. Dann öffnete der Polizist eine schwere, stählerne Tür und verschwand. Malik reagierte instinktiv. Er wich nach links aus, entdeckte einen Nebenraum und betrat einen karg beleuchteten Technikraum. Eine Treppe führte nach oben. Er folgte ihr vorsichtig, Stufe für Stufe, bis er auf einem schmalen Rundgang landete, der sich über einen großen, abgedunkelten Raum zog.
Durch ein Gittergeländer sah er direkt nach unten. Der Polizist war dort und nicht allein. Er ging geradewegs auf eine Tischgruppe zu, an der mehrere Personen saßen. Die Gesichter der meisten waren nicht zu erkennen, da sie dem Raum abgewandt waren. Aber einer stand auf: Goliath.
Er bediente sein Syncet. Mit einem Touch aktivierte er eine winzige Stinger-Drohne, Calebs neueste Erfindung. Fast lautlos hob sie ab, surrte über das Geländer und schwebte langsam auf die Gruppe zu. Ihr Objektiv erfasste die Szene und ihr Mikrofon begann, Ton aufzuzeichnen. Ein Live-Feed erschien auf Maliks kleiner Linse in der Brille.
Goliath stand aufrecht, mit verschränkten Armen, seine Silhouette markant gegen das spärliche Licht abgesetzt. Der Polizist näherte sich, doch zwei Männer aus der Gruppe traten ihm sofort in den Weg.
„Einmal Brick … und einmal ‚Das kann nicht sein‘“, murmelte Calebs Stimme im Ohr, und eine automatische Spracherkennung sprang an. Malik musste schlucken. Es war Michael. Der Michael, der vor Wochen wegen der Drogen von Goliath im Krankenhaus gelandet war. Offenbar war er nicht nur genesen, sondern auch übergelaufen.
Die beiden Männer durchsuchten den Polizisten professionell, dann ließen sie ihn durch. Er trat zu Goliath.
„Ich begrüße Sie! Sie sind der Neue?“ Goliaths Stimme klang ruhig und beinah freundlich.
Der Polizist nickte. Kein Zögern.
„War bei Ihrem Vorgänger alles in Ordnung?“
Wieder ein Nicken.
„Dann viel Erfolg!“ Goliath klopfte ihm fast kumpelhaft auf die Schulter. Der Mann drehte sich um und ging wieder.
Malik beobachtete, wie die Tür hinter ihm zufiel. Dann wandte sich Goliath der restlichen Gruppe zu. Er hob die Arme leicht, wie ein Prediger vor seinen Gläubigen.
„Erfolg!“, rief er mit einer Stimme, die durch den Raum hallte. „Nichts anderes als Erfolg ist unsere Geschichte. Wir haben es geschafft! Red Upper und Bloodline dominieren den Markt. Alle Gegner sind ausgeschaltet. Die Politik steht unter unserer Kontrolle. Die Polizei kontrolliert.“
Er ließ den Blick über die Gruppe schweifen, ein kaltes Lächeln auf den Lippen.
„Ihr alle habt fantastisch gearbeitet. Es beginnt jetzt. Der Moment, auf den wir gewartet haben.“ Malik atmete langsam durch. Er wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, doch was er hier sah, war der Beweis, den sie brauchten. Goliath war nicht nur ein Dealer. Er war ein Strippenzieher auf höchster Ebene. Und jetzt … war es an ihnen, etwas dagegen zu unternehmen.
„Was machst du hier?!“ Die Stimme kam plötzlich und durchdrang den dunklen Technikraum wie ein Peitschenhieb.
Malik erstarrte für einen Moment. Dann drehte er sich langsam um. Im Türrahmen stand ein Sicherheitsmann, kräftig gebaut, die Stirn in Falten gelegt, die Hand bereits zum Funkgerät an der Schulter gehoben. Zu spät.
Malik reagierte blitzschnell. Keine Sekunde zu viel, keine Sekunde zu wenig. Wie ein geübter Reflex vollführte er eine saubere Bewegung: Er trat vor, packte den Mann mit beiden Händen am Revers, drehte sich seitlich und nutzte sein eigenes Körpergewicht. Mit einem kräftigen Schwung flog der Sicherheitsmann über die Brüstung.
Ein dumpfer Aufprall irgendwo unten. Rufe, Bewegung. In dem Raum, in dem Goliath gerade noch gesprochen hatte, wurde es hektisch. Stühle rutschten, mehrere Stimmen schrien durcheinander. Die Drohne fing verwirrte Gesichter ein; einer zeigte nach oben. „Ich haue mal ab“, murmelte Malik, während er die Treppe hinunterstürmte.
„Folge der Stinger!“ Calebs Stimme klang scharf und konzentriert in seinem Ohr.
Malik hörte das Summen der kleinen Drohne über sich, während er durch enge Servicegänge sprintete. Die Orientierung fiel ihm schwer, denn alle Gänge sahen mit ihren grauen Wänden, flackernden Neonröhren und dem Geruch nach Chemikalien gleich aus.
„Ist der Weg frei?“, keuchte Malik und richtete seinen Blick auf ein mögliches Ziel. Keine Antwort. Kein Ton. Nur das Rauschen des Windes war in seinem Ohrhörer zu hören. Caleb?
Er wurde schneller. Es war jetzt egal, es gab keinen Plan B. Mit einem letzten Satz trat er durch eine Seitentür nach draußen. Das grelle Neonlicht des Casinos blendete ihn kurz, aber er erkannte sofort das Skidcar.
Etwas stimmte nicht.
Die Tür auf der Beifahrerseite stand offen. Caleb rang mit Brick, diesem massigen Muskelberg, den er eben noch unten bei Goliath gesehen hatte. Tasha schlug von der anderen Seite mit einem Nothammer zu, doch Brick schien unbeeindruckt.
Malik reagierte instinktiv. Er sprang aus vollem Lauf auf die hintere Sitzbank des Skidcars, ein fast fliegender Körper.
„Brick!“, rief er. Brick drehte sich gerade noch um, da war Malik schon bei ihm. Ein gezielter Griff an die Weste, ein Tritt ins Gleichgewicht, dann ein brutaler Ruck, und Malik zerrte ihn mit voller Kraft aus dem Fahrzeug.
Sie landeten auf dem Asphalt, schwer und hart. Brick fluchte laut, doch Malik hatte keine Zeit zu verlieren.
„Haut ab!“, rief er in Richtung Cockpit.
Tasha zögerte. „Aber ...“
„Fahrt! Jetzt!“ Calebs Stimme klang heiser, aber bestimmt.
Die Tür schloss sich, das Skidcar beschleunigte und zog quietschend davon. Nun stand Malik allein mit Brick da. Der richtete sich langsam auf, wie ein Koloss, der nicht wusste, ob er wütend oder beeindruckt sein sollte.
Malik spuckte auf den Boden. „Na komm, Großer. Zeig mir, was du gelernt hast.“
Brick fletschte die Zähne.
Der Kampf hatte gerade erst begonnen.
„Du?“ Brick grinste breit und seine Stimme triefte vor Hohn. „Das wird ein Spaß.“
Ohne zu zögern stürmte er auf Malik zu – ein lebender Rammbock, pure Masse, pure Aggression.
Malik wich seitlich aus, spürte aber den Luftzug von Bricks Faust haarscharf an seinem Gesicht vorbeiziehen. Der Schweiß auf seiner Stirn brannte leicht und lief ihm in die Augen, doch er ignorierte es. Sein Blick war fokussiert, sein Körper in Kampfstellung, leicht geduckt, die Arme bereit, jeden weiteren Angriff zu parieren.
Brick war wuchtig, brutal und kompromisslos. Jeder Schlag war wie ein Vorschlaghammer und Brick schien nur ein Ziel zu haben: Malik zu brechen. Malik duckte sich unter einem Haken weg, blockte mit dem Unterarm einen Aufwärtshaken und konterte mit einem schnellen Tritt gegen Bricks Oberschenkel, doch der Mann zuckte nicht einmal. Es war, als würde man gegen eine Betonwand treten.
„Das alles?“, spottete Brick. Dann folgte ein weiterer Angriff, ein wildes Schlagen, eine Salve wie aus einem Maschinengewehr. Malik parierte, wich zurück und atmete schwer. Jeder Schlag brachte ihn ein Stück weiter in die Defensive. Es war kein Duell, sondern ein Sturm, den er überstehen musste.
Der Kampf zog sich hin, und beide bewegten sich wie Tänzer in einem tödlichen Rhythmus. Doch dann, ganz plötzlich, veränderte sich etwas.
Brick kaute. Er kaute heftig und mit offenem Mund auf etwas Zähem, Bissfestem.
Malik runzelte die Stirn. Was?
Dann sah er es. Die Veränderung kam wie eine Schockwelle.
Bricks Pupillen weiteten sich abrupt. Seine Atmung wurde tiefer und stoßweise. Seine Gesichtshaut spannte sich, die Adern an Hals und Schläfen traten deutlich hervor. Dann kam das Lächeln, doch diesmal war es kein Spott. Es war … Wut. Reine, unverfälschte Wut. Eine animalische Raserei glomm in seinem Blick, als wäre er nicht mehr ganz Mensch.
„Oh, du spürst es, was?“, knurrte Brick, doch seine Stimme klang anders. Tiefer. Kratziger. Es klang, als würde etwas in ihm mitschwingen. „Bloodline. Direkt aus Goliaths Hand. Ich fühle mich unsterblich!“
Er begann zu lachen, ein dumpfes, hämisches, gefährliches Lachen.
Dann schlug er wieder zu. Aber diesmal … war es anders. Schneller. Härter. Zielstrebiger. Seine Bewegungen hatten plötzlich eine Präzision, die Malik nicht kannte.
Malik blockte, wich aus und schlug zurück, doch es wurde zunehmend schwieriger. Bricks neue Kraft war unheimlich. Jeder Treffer, selbst wenn er nur gestreift wurde, brachte Malik aus dem Gleichgewicht. Ein Schlag streifte seine Rippen, ein zweiter seine Schulter; er spürte die Erschütterung bis in die Beine.
Seine Gedanken rasten. Er hat Bloodline geschluckt. Verdammter Mist … Ich muss ihn runterholen, bevor er völlig durchdreht. Doch wie? Der Mann vor ihm war kaum noch kontrollierbar. Keine Strategie half, wenn der Gegner wie ein Berserker auf Drogen kämpfte.
Aber Malik war nicht irgendwer. Er hatte Straßenkämpfe erlebt. Und er hatte eines gelernt: Wenn sich rohe Gewalt aufbaut, muss man klüger sein.
Malik sprang zurück, nur Millimeter trennten ihn von Bricks Faust. Er nutzte den Schwung des Ausweichens, drehte sich um und rannte los, so schnell seine Beine ihn trugen.
„Feigling!“, brüllte Brick hinter ihm. Seine Stimme klang rau und voller Rage, beinah unmenschlich. Seine Schritte hallten auf dem Asphalt wider. Malik hörte sie wie Hammerschläge hinter sich. Brick verfolgte ihn. Unaufhaltsam.
Malik bog um eine Ecke, sprintete zwischen parkenden Autos hindurch und preschte über eine Seitenstraße. Die Stadt blitzte an ihm vorbei: Neonlichter, dunkle Gassen und die schockierten Gesichter von Passanten, die sofort zur Seite sprangen. In seinem Ohr rauschte das Blut, sein Herz hämmerte wie verrückt. Nur noch ein Stück.
Zwei Straßen weiter endlich. Vor ihm erstreckte sich die Brücke. Der Riverwalk. Eine alte, gusseiserne Fußgängerbrücke, die den Fluss überspannte, der mitten durch das Viertel floss.
Malik stoppte abrupt am Brückengeländer und drehte sich um. Der Fluss unter ihm glitzerte im Licht der Straßenlaternen und rauschte laut.Brick kam angerast. Er wirkte wie ein Dampfzug, völlig außer Kontrolle. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, sein Blick war tierisch und wahnhaft auf Malik fixiert.
„Komm schon“, flüsterte Malik mehr zu sich selbst. „Ein Schritt noch …“
Brick brüllte auf, stürmte los und holte zu einem weiteren Schlag aus.
Doch Malik wich im letzten Moment zur Seite. Mit perfektem Timing und einer Drehung, die er tausendmal geübt hatte, preschte der Wahnsinnige ins Leere und verlor das Gleichgewicht.
Und dann flog er.
Brick stürzte vornüber über das Geländer, seine Arme ruderten kurz in der Luft und sein Schrei hallte durch die Nacht. Dann ein dumpfer Aufprall.
Platsch.
Ein riesiger Schwall Wasser spritzte empor und das Licht brach sich darin wie in einem Spiegel aus tausend Splittern. Sekundenlang war nur das Gurgeln des Flusses zu hören.
Malik trat an das Geländer. Der Fluss glitzerte wieder ruhig, das dunkle Wasser schluckte alles, auch Brick.
Nichts.
Kein Aufschrei. Kein Blubbern. Keine Bewegung.
Er war verschwunden.
Malik atmete schwer. Die Nacht war plötzlich still. Nur sein pochender Puls erinnerte ihn daran, wie knapp es gewesen war. Er blieb noch einen Moment stehen und starrte auf das dunkle Wasser. Dann wandte er sich ab und verschwand in der Dunkelheit.

Kommentare
Kommentar veröffentlichen