Kapitel 72 - Snap

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Neonlichter zogen grelle Spuren an den Wänden entlang und tauchten den Club in ein ständiges Wechselspiel aus flackerndem Rot, kühlem Blau und gleißendem Violett. Der Boden vibrierte im Takt eines dröhnenden Beats, der so laut war, dass man ihn nicht nur hörte, sondern bis in die Knochen spürte. Schweiß, Alkohol und der schwere, süßliche Geruch von billigem Parfüm hingen wie ein zäher Nebel in der Luft. Nott wirkte hier fehl am Platz. Er war zu groß, zu schwarz und zu ernst für diesen Laden, in dem die weiße Oberschicht in Designerkleidern und maßgeschneiderten Anzügen ihre Nächte verbrachte. Der Seasonal Club galt als der letzte Schrei – ein Ort, an dem man gesehen wurde und an dem man alles tat, um nicht so zu wirken, als wolle man gesehen werden.

Er bahnte sich seinen Weg durch die tanzende Menge. Die Körper um ihn herum bewegten sich im Takt, dicht an dicht, ohne Hemmungen. Doch sie wichen instinktiv zurück, als er an ihnen vorbeiglitt. Nott bewegte sich ruhig und fast lautlos, während die Bässe gegen seinen Brustkorb hämmerten.

An der Bar blieb er stehen. Hinter dem Tresen stand eine junge Frau, die kaum mehr als einen Hauch von Stoff trug. Ihr Körper glänzte in den Neonfarben. Ihr Blick glitt über seine breiten Schultern und seine kräftigen Arme und blieb schließlich an seinem unbeirrbaren Gesicht hängen.

„Hey Süßer, was darf’s sein?“, fragte sie mit einem Lächeln, das halb Routine, halb echtes Spiel war.

Nott erwiderte ihren Blick kühl, ohne dass sich sein Mund verzog. „Ein Bier. Und den Aufenthaltsort von Bart Parkins.“ Seine Stimme war ruhig.

Einen Moment lang verharrte ihr Blick, unsicher, ob sie weiterflirten oder lieber Abstand halten sollte. Dann drehte sie sich um, öffnete den Kühlschrank, in dem das Licht mattweiß schimmerte, und zog ein Bier heraus. Sie stellte es auf den Tresen. Nott hielt seine Hand über den Synect-Scanner, es ertönte ein leises Summen und der Betrag wurde gebucht. Er gab ein Trinkgeld von fünfzehn Prozent. Die Barfrau beugte sich leicht vor, ihr Blick huschte an ihm vorbei in den hinteren Teil des Clubs, wo der Bass dumpfer klang. Dort, in einer der dunklen, halb von schweren Vorhängen abgeschirmten Sitzgruppen, deutete sie mit einem kaum merklichen Nicken hin.

Nott folgte ihrem Blick. Dort hinten, verborgen im Schatten und Rauch, wartete Bart Parkins. Langsam nahm er das Bier in die Hand, atmete kurz ein und setzte sich in Bewegung. Mit dem Bier in der Hand bahnte sich Nott den Weg zu der dunklen Ecke, in der Parkins eben noch gesessen hatte. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment voller stummer Erkenntnis. Parkins, ein schlanker Mann mit blassem Gesicht und rastlosen Augen, schob sofort seinen Stuhl zurück, sprang auf und drehte sich in Richtung einer Seitentür.

Nott erhöhte sein Tempo. Seine Schritte wurden länger und schwerer. Parkins hastete durch die Tür, doch Nott war schneller. Er glitt hinterher, gerade noch bevor sich die Tür mit einem metallischen Klicken schloss und verriegelte. Für einen Augenblick standen sie sich in dem schwach beleuchteten Nebenraum gegenüber, der nach abgestandenem Rauch und Schimmel roch. Ohne zu zögern packte Nott die Bierflasche am Hals, holte aus und schleuderte sie in Parkins' Richtung. Die Flasche traf ihn seitlich am Kopf, zersprang in einer Wolke aus Scherben und schalem Geruch. Parkins wankte und sein Blick verschwamm. Doch ehe er zu Boden gehen konnte, war Nott schon bei ihm. Seine kräftige Hand packte Parkinson am Kragen, zog ihn hoch, sodass ihre Gesichter beinahe auf gleicher Höhe waren.

Parkins grinste trotz des Schmerzes. Blut sickerte an seiner Stirn herab. „Oh, der Handlanger, der Sklave von Hanley“, stieß er keuchend hervor, seine Stimme triefte vor Spott.

Nott ließ seinen Blick kurz zur Seite gleiten, seine Augen schmal. „Ich zeige dir gleich, wer hier der Sklave ist“, knurrte er. „Wo sind die entführten Menschen hingebracht worden?“

Parkins’ Grinsen wurde breiter und verrückter. „Frag deine Herren doch selbst.“ Seine Augen blitzten boshaft. Dann senkte er kurz den Blick, holte tief Luft und rammte Nott mit einem rechten Haken die Faust entgegen. Nott wich knapp aus, spürte jedoch den Luftzug an seiner Wange. Parkins nutzte den Schwung und schlug sofort mit der Linken nach. Diesmal traf er Nott seitlich am Kopf. Für einen Moment tanzten Lichter vor Notts Augen. Er schwankte und musste einen Schritt zurückweichen. Doch kaum hatte er sein Gleichgewicht wiedergefunden, spannte er seinen Oberkörper an und konterte.

Sein Schlag war kurz, brutal und präzise. Parkins taumelte zurück und japste nach Luft. „Ich … ich … Pale hat mir verboten, etwas zu verraten“, stammelte er, als würde allein der Name schwer auf seiner Zunge liegen.

Nott packte ihn noch fester und spürte die Panik, die unter Parkins' Haut brodelte. Ohne ein weiteres Wort rammte er ihm die Faust in die Magengrube. Parkins krümmte sich, rang keuchend nach Atem und sein Blick verschwamm.

„Wer oder was ist Pale?“, fragte Nott diesmal leiser, aber so kalt, dass es gefährlicher klang als sein Zorn.

Parkins hob langsam den Kopf, seine Augen waren weit aufgerissen und in sein Lächeln kroch der Wahnsinn. „Ich bin tot“, hauchte er und begann zu lachen, erst leise, dann immer lauter, ein heiseres, gebrochenes Lachen. „So oder so. Ich bin tot.“

„Und du kannst entscheiden, ob du hier stirbst oder eine Chance hast zu fliehen.“ Notts Griff wurde noch fester, seine Finger gruben sich in den Stoff von Parkins' Jacke, bis die Knöchel weiß hervortraten. „Ich habe kein Problem damit, dir einen Knochen nach dem anderen zu brechen.“ Seine Stimme klang ruhig und beiläufig, was sie umso bedrohlicher machte. Parkins’ Atem ging schneller, seine Augen zuckten hektisch. Plötzlich blitzte in seinem Blick etwas auf: Verzweiflung, die in panische Wut kippte. Er riss eine Hand frei und griff nach einer Waffe, die in der Innentasche seiner Jacke steckte. Doch bevor er richtig zupacken konnte, krachte die Tür auf. Ein breitschultriger Bodyguard stürmte herein, die Waffe bereits im Anschlag. Die Zeit schien für einen Moment zu gefrieren. Notts Blick wurde kalt, sein Körper spannte sich an.

Er wusste, dass er nur einen Herzschlag Zeit hatte. Mit einer einzigen flüssigen Bewegung riss er Parkins die Waffe aus der Jacke, drehte sie in der Hand und feuerte. Ein leises Surren hallte durch den Raum, als der Schuss der Energiewaffe den Bodyguard zwischen den Augen traf. Es folgte ein kurzes Zucken, dann ein dumpfer Aufprall. Der Mann lag reglos am Boden, aus der Wunde an seiner Brust stieg Rauch auf.

Parkins starrte mit geweiteten Augen erst den toten Bodyguard, dann Nott an. Dessen Gesicht wirkte so ruhig wie eine schwarze Wasseroberfläche. „Fuck, Mann, was bist du für ein Wahnsinniger?“, japste er mit zitternder Stimme.

Nott trat einen Schritt näher, die Pistole locker in der Hand, doch bereit, sie sofort wieder zu ziehen. Sein Blick nagelte Parkins förmlich an die Wand. „Stell dich niemals in den Weg von jemandem, der ein klares Ziel hat“, sagte er leise, fast wie eine Warnung. „Und als Tipp: Sei niemals der letzte Checkpoint. Gib mir den nächsten Checkpoint.“

Für einen Moment war nur der leise, zittrige Atem von Parkins zu hören. Dann war das peinliche, schwache Prasseln zu hören, das gegen den Boden tropfte. Parkins’ Blick sank beschämt nach unten, und seine Hose wurde langsam dunkel.

„Hast du dich ernsthaft eingepisst?“, fragte Nott mit kühler Stimme. In seinem Blick flackerte kurz etwas wie Abscheu auf. Parkins nickte hektisch, die Lippen bebten. „Die ... die haben sie mit Medigraveships zum Darwin Medical gebracht. Ich … ich habe ihnen die Schiffe besorgt.“ Seine Worte kamen abgehackt, jeder Laut war schwer wie Blei.

Nott ließ seinen Griff los und Parkins sackte zu Boden, als wären all seine Knochen plötzlich weich geworden. Für einen Moment stand Nott nur da, atmete tief durch, dann drehte er sich um. Er ging zur Tür. Sein Blick glitt noch einmal zurück zu dem Mann, der jetzt zusammengesunken am Boden kauerte – ein Häufchen Elend, das so viel größer getan hatte, als es war. „Trauriger Haufen“, murmelte Nott leise, fast so, als spreche er mit sich selbst. Dann verschwand er lautlos durch die Tür, die sich hinter ihm schloss.


Der Skidtrain wackelte auf seinen alten Schienen, ein unruhiges, metallisches Zittern ging durch die rostige Kabine. Nott stand reglos wie ein Fels da, während um ihn herum Gestalten in zerschlissenen Mänteln und Kapuzen saßen und standen, mit gesenkten Köpfen und leeren Blicken. Ihre Gesichter wirkten grau und ausgewaschen, als hätte das Leben sie längst verlassen und irgendwie vergessen, sie mitzunehmen. Draußen zogen die Schatten der Stadt vorbei, als der Zug tiefer in einen der Außenbezirke von Saint Veronika fuhr, dorthin, wo selbst die Hoffnung keinen Halt mehr fand. Der Skidtrain quietschte und ächzte bei jeder Kurve, als wollte er sich gegen sein eigenes Ziel wehren. Die Darwin Medical war eine verlassene Klinik, die wie eine klaffende Wunde am Rande der Stadt lag, direkt an der gewaltigen Außenmauer, die Saint Veronika vom Niemandsland trennte. Ein Bau aus Beton und Glas, der längst blind geworden war und von der Zeit gezeichnet war. Der Zug bremste ruckartig. Die Türen öffneten sich mit einem metallischen Seufzen und Nott trat hinaus. Kalte Luft schlug ihm entgegen, die nach Staub, Rost und altem Müll roch. An den Hauswänden saßen Menschen, ausgemergelte Körper, die in zerrissene Decken gehüllt waren. Sie streckten die Hände aus, ihre Stimmen waren kaum mehr als ein Flüstern, das dennoch in den Ohren brannte wie das Heulen von Geistern, die einst mehr gewesen waren.


Nott ging an ihnen vorbei, seine Schritte fest, der Blick nach vorn gerichtet. Keiner wagte, ihn direkt anzusehen, doch ihre leeren Augen folgten ihm, als wüssten sie, dass er nicht hierhergehörte oder dass er gekommen war, um etwas zu beenden. Nott betrat das Gebäude und blieb kurz in der Eingangshalle stehen. Ein kalter, abgestandener Luftzug schlug ihm entgegen, gemischt mit dem Geruch von Schimmel, altem Blut und Verfall. Überall lagen Trümmer: zerbrochene Fliesen, zersplittertes Glas und rostige Metallträger. Die Fenster waren vor Schmutz blind, einige zerborsten, sodass fahles Licht in schiefen Streifen hereinfiel. Er ließ den Blick schweifen. Das Krankenhaus wirkte wie ein Denkmal der Vergessenheit, als hätte hier einst Leben geherrscht, das nun nur noch als Schatten in den Fluren lauerte. Irgendetwas störte ihn. Warum ausgerechnet dieser Ort? Warum so offensichtlich? Es fühlte sich an wie eine Falle: zu perfekt platziert und in seiner Trostlosigkeit zu einladend. Nott ging vorsichtig weiter, sein Blick suchte nach Spuren. Dann blieb er stehen. Vor ihm klaffte ein Loch im Boden, umgeben von zerborstenen Kacheln und herabgefallenen Deckenplatten. Staub rieselte leise in die Dunkelheit darunter. Ein Tunnel, der grob in den Untergrund gegraben worden war, führte vom Gebäude fort und direkt in Richtung der massiven Stadtmauer.

Er kniff die Augen zusammen. Jetzt ergab alles Sinn: Nicht das Krankenhaus war das Ziel, sondern das, was darunter verborgen lag – ein Fluchtweg, ein Schmuggelpfad oder etwas noch Gefährlicheres. Nott atmete tief durch und setzte vorsichtig einen Fuß auf die bröckelnde Kante. Was auch immer hier unten war, es würde Antworten geben.

Plötzlich riss ein donnernder Knall die Stille in Stücke und Nott wurde von der Druckwelle gepackt wie ein Spielzeug. Er flog durch die Luft, schlug hart gegen eine bröckelige Wand und wurde von Steinen und Staub bedeckt. Ein stechender Schmerz durchzog seinen Oberkörper, sein Atem ging keuchend, doch er zwang sich hoch. Staub wirbelte um ihn herum, und der Geruch von Sprengstoff lag in der Luft.


Vor ihm stand eine Gestalt, die aussah wie ein heruntergekommener Obdachloser: dreckige Kleidung, strähniges Haar und ein wahnhaftes Grinsen im Gesicht. „Bist du der Wachmann? Ungewöhnliche Waffe!“, rief Nott, während der Typ hektisch in seinen Taschen kramte. Metall klirrte, als mehrere selbstgebastelte Bomben zum Vorschein kamen. „Ich werde dich in die Luft sprengen, denn ich bin Snap!“

Nott verzog spöttisch den Mund, trotz des pochenden Schmerzes in seinen Rippen. „Fuck, was bist du für ein trauriger Wichser.“

Snap zögerte nicht, griff sich eine der Bomben und schleuderte sie in den Tunnel. Mit irrem Blick kam er auf Nott zu und hielt schon die nächsten Bomben in der Hand. Die Explosion riss ein Loch in den Boden, Gestein krachte herab und der Tunnel stürzte ein. Die Druckwelle warf Snap fast zu Boden und brachte ihn für einen Moment aus dem Gleichgewicht.

Nott nutzte den Augenblick. In einer fließenden Bewegung zog er die Energiewaffe, die er Parkinson abgenommen hatte, zielte auf die Bombe in Snaps Hand und drückte ab. Es gab einen kurzen, gedämpften Knall, dann verschluckte eine gleißende Explosion Snap vollständig. Fleisch, Staub und Metallfetzen wirbelten durch den Raum, als wäre Snap nie da gewesen.


Langsam ließ Nott den Arm sinken und atmete tief aus. „Was für ein stumpfer Bullshit“, murmelte er, ging ein paar Schritte weiter und ließ sich schwer atmend auf ein brüchiges Mauerstück sinken, das kaum dreißig Zentimeter hoch war. Um ihn herum klirrten noch vereinzelt Steinbrocken und der Staub legte sich nur langsam. Für einen Moment schloss er die Augen, dann rappelte er sich wieder auf.


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