Kapitel 67 - Mich nennt man Nitechore

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„Da stehen wir nun“, murmelte Barnowl und ließ den Blick über die flachen Dächer und den schwach leuchtenden Horizont schweifen. Neben ihm kauerten Tavin und Nitechore auf dem bröckelnden Sims eines alten Lagerhausdaches.

„Ist das ernsthaft schon wieder eine Lagerhalle?“, knurrte Tavin. Seine Stimme hatte diesen metallisch-klirrenden Unterton, der fast wie Spott klang. „Fällt den Bösen denn wirklich nie was Neues ein?“

Barnowl hob eine Augenbraue, ohne den Blick von dem weitläufigen, grauen Rechteck mit seinen rostigen Lüftungsschächten abzuwenden. „Tavin, hast du gerade Sarkasmus benutzt? Du bist eine KI.“

„Ich habe gelernt, dass Menschen weniger Angst verspüren, wenn man Sarkasmus und Ironie einsetzt“, erklärte Tavin in einem sachlichen Tonfall, der im Kontrast zu seinen Worten fast komisch wirkte. „Das soll Gespräche auflockern.“

Barnowl musste schmunzeln. „Wenn du das machst, klingt es allerdings ein bisschen … na ja, eigenartig.“

„Eigenartig ist gut“, konterte Tavin sofort. „Eine KI, die eigenartig ist, ist vermutlich einzigartig.“

Nitechore, der die ganze Zeit schweigend zwischen den beiden hin- und hergesehen hatte, seufzte genervt. „Euer Ernst gerade? Wir sitzen hier auf einem Dach und beobachten Fizzle, den erfolgreichsten Giftmischer der heutigen Zeit, und ihr macht einen Impro-Comedy-Workshop?“

Er strich sich mit einem Handschuh über das Visier, als wollte er den Ärger wegwischen. „Konzentriert euch endlich!“

Tavin zuckte mit den Schultern – oder zumindest machte er eine Bewegung, die wie ein programmiertes Schulterzucken wirkte. „Okay, Nitechore. Wir konzentrieren uns“, sagte er betont gelassen.

Barnowl atmete tief durch, legte eine Hand auf Tavins Schulter und deutete mit der anderen auf die Lagerhalle. „Also, zurück zum Thema“, murmelte sie.

„Na schön“, sagte Nitechore schließlich leise. „Auf mein Zeichen.“

„Er sitzt in der ersten Etage“, flüsterte Nitechore, während er prüfend an seinem Greifhaken zog. Ohne weitere Worte spannte er den Mechanismus und feuerte. Das Seil surrte durch die Nacht und verankerte sich mit einem metallischen Klacken am Sims des gegenüberliegenden Hauses. Das andere Ende landete federnd auf dem Flachdach des Zielgebäudes.

Nitechore atmete einmal tief durch. Dann hakte er sich ein und ließ sich hinabgleiten. Die Stadt rauschte für einen Moment an ihm vorbei: dunkle Fenster, Schatten und ein schwaches Leuchten von Neonreklamen in der Ferne. Der Boden kam rasch näher. Mit einer kontrollierten Bewegung stellte er sich auf die Füße, landete geschmeidig auf dem Dach und ging sofort geduckt weiter.

Er erreichte ein vergittertes Fenster. Seine Finger tasteten flink nach dem kleinen Werkzeugset an seinem Gürtel. Er setzte das Werkzeug an und löste eine Schraube nach der anderen, während seine Sinne wachsam in alle Richtungen horchten. In der Ferne drang das Dröhnen eines Generators an sein Ohr, gemischt mit vereinzeltem Hundegebell – die Geräusche einer Stadt, die nie ganz schlief.

Kaum hatte er die Scheibe gelöst und sie vorsichtig neben sich abgelegt, landeten Barnowl und Tavin auch schon hinter ihm. Der eine leise wie ein Schatten, der andere mit einem dumpfen Aufprall, der kurz Staub aufwirbelte. „Sauber gemacht“, murmelte Barnowl knapp, während Tavin die Umgebung mit einem leisen, beinahe neugierigen Summen scannte.

Nitechore atmete ein letztes Mal durch, beugte sich vor und sprang ohne zu zögern durch die offene Fensterlücke.

Er richtete sich auf und stand direkt vor ihm.

Fizzle.

Er wirkte wie ein Raubtier in Menschengestalt, das nur darauf wartete, zuzuschlagen. Er trug eine Gasmaske mit schmalen, trüben Gläsern, die im schwachen Licht bedrohlich funkelten. Seine Bewegungen waren katzenhaft und lauernd. Man hörte das leise, angespannte Zischen seines Atems hinter dem Filter, kurz und schnell, als würde er sich beherrschen müssen, nicht sofort anzugreifen.

Auf Fizzles Rücken saß ein kleiner, kantiger Tank, aus dem dünne Schläuche über seine Schultern liefen, die mit der Maske verbunden waren. Um seinen Oberkörper hatte er ein Gewirr aus Gurten geschnallt, an denen unzählige Ampullen mit zähflüssiger, schimmernder Flüssigkeit hingen. Einige dieser Glasbehälter glommen schwach, als wäre ihr Inhalt lebendig.

„Fizzle“, sagte Nitechore leise, ohne den Blick abzuwenden. Seine Stimme klang ruhig und schwer, als wüsste er, dass dies unvermeidlich war. „Ich glaube, es ist nun vorbei.“

Fizzle antwortete nicht sofort. Stattdessen neigte er den Kopf leicht, wie ein Tier, das sein Gegenüber prüfend mustert. Seine rechte Hand spielte mit einer der Ampullen, drehte sie zwischen den Fingern, während er diese heisere, gepresste Atmung weiter ausstieß. Für einen Moment wirkte es, als würde er etwas sagen wollen, doch dann kam nur ein raues, drohendes Knurren.

Hinter Nitechore spürte man die angespannte Stille, in der Barnowl und Tavin auf ein Zeichen warteten. In diesem Augenblick konzentrierte sich alles auf die nächsten paar Sekunden und darauf, ob Fizzle zum Angriff übergehen würde.

Nitechore sprang mit einer einzigen kraftvollen Bewegung auf Fizzle zu und rammte ihm die Faust mitten ins Gesicht. Es folgte ein dumpfer Aufprall, ein Knacken, dann ein kehliges Lachen, das hinter der Gasmaske hervordrang. Durch die Risse im Visier der Maske konnte Nitechore erkennen, wie Blut aus einer Platzwunde über Fizzles Wange lief und sich in feinen Linien über sein Kinn ergoss. Das Lachen klang gehetzt und fast fiebrig, aber auch trotzig und höhnisch.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, krachte ein scharfes Knallen durch den Raum. Nitechore riss den Blick herum, und sein Magen krampfte sich zusammen. Mehrere der kleinen, glühenden Giftampullen, die an Fizzles Gurt hingen, waren zerborsten. Splitter flogen durch die Luft und trafen Barnowl, die gerade zum Sprung ansetzte. Sofort ging sie zu Boden, röchelnd und nach Luft ringend.

„Verdammt! Tavin!“, brüllte Nitechore, während er einen Schritt in ihre Richtung machte, den Blick aber keine Sekunde von Fizzle abwandte. „Bring sie weg! Ich schaff das alleine!“

Tavin reagierte ohne zu zögern. Er packte Barnowl mit beiden Armen, zog sie hoch, die kaum noch bei Bewusstsein war, und schleifte sie in Richtung Fenster. „Tut mir leid, Nite …“, hörte Nitechore sie noch heiser sagen, bevor das Krachen von splitterndem Glas alles andere übertönte. Im nächsten Augenblick waren Tavin und Barnowl durch die Öffnung verschwunden, in die dunkle Nacht hinaus.

Die Stille danach wirkte wie ein Vakuum, ein kurzer, unheilvoller Atemzug vor dem Sturm.

„Eins gegen eins“, sagte Fizzle. Seine Stimme klang dumpf und verzerrt hinter der Maske, doch ein spöttischer Unterton schwang mit. Er riss eine weitere Ampulle von seinem Gürtel, zerbrach sie in der behandschuhten Faust und sofort quoll eine dichte, grünlich schimmernde Giftwolke aus seiner Hand. Die Flüssigkeit verdampfte innerhalb von Sekunden, breitete sich im Raum aus und verschluckte alles in einem wabernden Nebel.

Doch Nitechore hatte sich vorbereitet. Mit einer schnellen Bewegung klappte er das Visier seiner Maske herunter und versiegelte es. Ein kurzes Zischen zeigte ihm an, dass die Filter aktiv waren. Gleichzeitig aktivierte er die Wärmebildkamera im rechten Augenwinkel. Ein graues Flimmern huschte über sein Sichtfeld, dann erkannte er zwischen Möbeln und Nebelschwaden Fizzles Silhouette, die vom Adrenalin erhitzt war und im Thermobild klar umrissen erschien.

„Du spielst mit dem Falschen, Fizzle“, knurrte Nitechore leise, kaum mehr als ein bedrohliches Flüstern in der Dunkelheit.

Fizzle antwortete nicht. Er bewegte sich lauernd und federnd, bereit für den nächsten Angriff. In seinen Bewegungen lag etwas Raubtierhaftes, Unberechenbares, während der Nebel ihn wie ein zweites Fell umhüllte.

Für einen Moment standen sie sich gegenüber, nur wenige Meter entfernt, jeder Muskel gespannt, jeder Atemzug durch die Maskenfilter hörbar.

Dann spannte Nitechore die Schultern an, bereit, den Kampf endgültig zu beenden.

Er holte aus und ließ seine Faust auf Fizzle niedersausen. Dieser taumelte zurück, wich benommen aus, während ein zweiter Schlag knapp an seiner Gasmaske vorbeizischte. Fizzle wehrte ab, stolperte und wich wieder zurück.

Nitechore schlug weiter zu, ein Schlag nach dem anderen, präzise und ohne überflüssige Bewegungen. Metall traf auf Stoff und Fleisch, und dumpfe Aufpralle hallten durch den Raum. Fizzle wich aus, blockte zaghaft, doch jeder Abwehrversuch ließ ihn schwächer wirken und jeder Ausweichschritt wirkte stolpernder.

Kurz zögerte Nitechore, als wäre er fast enttäuscht, dann entschloss er sich, seine neue Fähigkeit zu testen.

Er ballte die Faust und drehte den kleinen Schalter an seinem Handschuh. Ein leises Surren ertönte, dann ein kurzes, scharfes Zischen, und eine kleine Zündung brachte die in seinem Handschuh gespeicherte Flüssigkeit zur Explosion. Ein Schwall Rauch entwich und schlug Fizzle mitten ins Gesicht.

Fizzle wich hustend zurück, seine Bewegungen wurden fahriger und panischer. Durch die Wärmebildanzeige sah Nitechore, wie Fizzles Körpertemperatur innerhalb weniger Sekunden stieg – ein klares Zeichen für Panik.

Diesen Augenblick nutzte Nitechore. Er griff in seinen Gürtel, zog eine kleine, scheibenförmige Apparatur hervor und warf sie mit einem gezielten Schwung direkt auf Fizzles Brust. Es summte kurz, dann gab es einen grellen Blitz und einen heftigen Stromschlag, der durch Fizzles Körper fuhr. Sein Rücken krümmte sich, er riss die Arme hoch wie eine Marionette an gerissenen Fäden, dann sackte er krachend auf den Boden.

Der Rauch verteilte sich langsam im Raum und für einen Moment war nur das angestrengte Atmen von Nitechore zu hören. Er atmete tief durch, spürte, wie der Puls in seinen Ohren hämmerte, dann ließ er die Schultern sinken. Sein Blick fiel auf Fizzle, der reglos auf dem Boden lag, die Glasaugen seiner Maske blind und leer.

Langsam, fast mechanisch, richtete sich Nitechore auf und meldete sich per Synect. Sein Ton klang ruhig, doch jeder Laut vibrierte vor Anspannung.

„Ich habe Fizzle für dich hier“, sagte er knapp.

Sabines Stimme antwortete fast sofort, ruhig und kühl wie immer: „Danke. Und, Nitechore, schau dir mal das SVPD an. Es wurden zwei große Tiere mit Beweisen anonym vor die Zentrale gestellt. Das könnte dich interessieren.“

Nitechore zog eine Augenbraue hoch und die Maske verzog sich leicht über seinem Gesicht. „Verstanden.“ Er wartete einen Herzschlag, dann fügte er leise hinzu: „Danke, West.“

Ein Moment der Stille blieb, während Nitechore Fizzle musterte, der jetzt nur noch wie ein besiegter Schatten seiner selbst wirkte. Dann wandte sich Nitechore um, den Blick fest auf den nächsten Einsatz gerichtet.


Er saß auf seinem Skidbike und glitt durch die nächtlichen Straßen von Saint Veronika. Der Motor summte leise, während Regentropfen in dichten Schleiern über seine gepanzerte Jacke und das Visier seines Helms liefen. Neonlichter spiegelten sich in den Pfützen und zogen verzerrte, flüchtige Muster auf den Asphalt, während er an verlassenen Häuserruinen und flackernden Werbetafeln vorbeiraste.

„Tavin. Wie geht es Theresa?“, fragte Nitechore mit gedämpfter Stimme über das Synect. Kurz herrschte Stille, nur sein Atem war zu hören. Dann ertönte die kühle, künstlich modulierte Stimme von Tavin: „Ich habe sie stabilisieren können. Sie ist geschwächt, aber sie wird es schaffen.“

Ein kurzer Moment der Erleichterung flammte in Nitechore auf, doch er verschwand so schnell, wie er gekommen war. „Gut“, murmelte er knapp. Dann wechselte er das Thema: „Ich habe Fizzle festgesetzt und bin auf dem Weg zur SVPD. Da scheint etwas vorzugehen.“

„Dann weiß ich Bescheid“, erwiderte Tavin, der wie immer keine Zeit mit unnötigen Worten verlor.

Der Regen wurde heftiger. Tropfen trommelten wie tausend kleine Nadeln gegen das Helmvisier, während Nitechore langsamer wurde und den Blick prüfend über die dunklen Fassaden schweifen ließ. Schließlich stoppte er zwei Straßen vor dem Gebäude des Saint Veronika Police Department. Die grell erleuchtete Fassade stach wie ein Monolith aus Beton und Glas aus der Dunkelheit hervor.

Er stieg ab, ließ den Motor leise nachsummen und atmete tief durch. Dann griff er nach seinem Greifhaken. Mit einem leisen Surren flog der Haken hoch, verkeilte sich in einem Vorsprung und Nitechore zog sich kraftvoll aufs Dach. Regentropfen spritzten unter seinen Stiefeln hoch, als er geduckt in Richtung Dachkante ging.

Unten auf dem Vorplatz des SVPD bot sich ihm ein gespenstischer Anblick: Zwei schwere Stühle aus Stahl, darauf zwei gefesselte Gestalten, reglos im Licht der Scheinwerfer. Davor standen mehrere massive, wasserdichte Kisten, auf denen in schwarzen Lettern stand: „Beweise, um das Geschenk rundum vollständig zu machen.“

Nitechore aktivierte die Zoom-Funktion seines Helms. Trotz der tropfenden Nässe und der Schatten, die über ihre Züge huschten, traten die Gesichter der Gefesselten klar hervor. Don Calogero Sciopare und Don Giuliano Checchino. Zwei Namen, die seit Jahren wie ein bleierner Schatten über Saint Veronika lagen, nun scheinbar machtlos und ausgeliefert wie Trophäen präsentiert.

Er atmete einmal tief durch, spürte den Pulsschlag in seinem Hals und öffnete eine Verbindung über Synect. „Weißt du, wer abgeliefert wurde?“, fragte er sofort, ohne ein Begrüßungswort.

„Ganz ruhig. Wie wäre es mit Benehmen?“, kam kühl und etwas spöttisch Sabines Stimme zurück. „Ja, die beiden Dons. Calogero und Checchino.“

Ein kurzer Moment der Stille, nur unterbrochen vom Prasseln des Regens, dann sprach sie weiter: „Nitechore. Ich weiß noch nicht, wie gut das für die Stadt ist. Niemand wollte die beiden wirklich vom Thron stoßen. Sie waren ein kalkulierbares Risiko, ein Gleichgewicht. Ohne sie könnte alles noch schlimmer werden.“

Nitechore kniff die Augen zusammen, während er die beiden Dons weiter musterte. „West, ich glaube, Vanitas steckt hinter allem. Ratchetclaw, Fizzle, jetzt die Dons. Alles führt zu ihm.“

„Wer ist Vanitas?“, fragte Sabine nach kurzem Zögern.

„Ein Name, der regelmäßig in den Unterlagen stand“, antwortete Nitechore. Seine Stimme klang leise, doch in ihr lag etwas Kaltes, Entschlossenes. „Immer am Rand. Immer dort, wo keiner hinschaut. Aber immer da.“

Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen, nur das ferne Donnern und der Wind über der Stadt hallten in seinem Helm wider. Nitechore spürte, wie der Regen in seine Handschuhe sickerte und seine Muskeln vor Anspannung brannten. Irgendetwas in dieser Nacht sagte ihm, dass das Spiel gerade erst begonnen hatte.

„Nitechore. Ich bin es nicht, der dahintersteckt«, erklang eine Stimme hinter ihm, leise und rau wie ein schwacher Luftzug in der Dunkelheit.

Nitechore fuhr herum. Regentropfen spritzten von seinen Schultern, als er sich drehte und Vanitas ins Visier nahm. Der Mann stand reglos da, gehüllt in zerrissene Stofffetzen, die nass an seinem ausgemergelten Körper klebten. Unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze schimmerten blasse Züge. Seine Augen leuchteten matt im Schein der fernen Straßenbeleuchtung, als verbarg sich etwas Rastloses hinter dem Glas.

Nitechore atmete einmal tief durch. „West, ich mach Schluss. Vanitas ist hier. Er will sich erklären und sagt, er wäre es nicht.“ Seine Stimme klang härter, als er erwartet hatte. Ohne auf Sabines Antwort zu warten, kappte er die Verbindung. Nur der Regen blieb und trommelte auf Blech und Stein.

„Alles deutet auf dich hin, Vanitas“, sagte er dann, langsam, jedes Wort wie ein Stein, der schwer in die Stille fiel.

Vanitas hob leicht den Kopf. Wasser lief an seinem Gesicht hinab, sammelte sich an den zerfetzten Stoffresten und tropfte zu Boden. „Ich weiß“, murmelte er. „Ich … war die letzten Monate in Blackchester. Und man hat mit mir gespielt. So wie mit dir.“ Seine Stimme bebte kaum hörbar, und darin lag ein Hauch von Müdigkeit und etwas, das fast wie Bitterkeit klang. „Ich dachte, ich finde hier Hinweise. Eine Erklärung. Aber stattdessen finde ich dich.“ Ein kurzes, humorloses Lächeln huschte über seine Lippen und verschwand sofort wieder. „Ich glaube, derjenige, der uns gegeneinander ausgespielt hat, hofft, dass du mich ausschaltest und der SVPD übergibst. So verschwindet eine weitere Schachfigur vom Brett.“

Für einen Moment musterte Nitechore ihn schweigend. Der Regen prasselte unaufhörlich und lief in dünnen Rinnsalen über sein Visier. In Vanitas' Haltung lag nichts von der Überheblichkeit eines Strippenziehers, eher wirkte er wie ein Mensch, der am Rand stand, getrieben und gehetzt.

Schließlich nickte Nitechore knapp. „Gib mir deinen verschlüsselten Synect.“ Seine Stimme klang rau, aber entschlossen. „Es war zu einfach, deinen Namen zu finden. Ich gebe dir die Möglichkeit, mit mir zusammen denjenigen zu finden, der die Fäden zieht.“

Nitechore trat näher und spürte, wie die Spannung in seinen Schultern vibrierte wie ein gespanntes Seil. Langsam startete Vanitas seinen Synect und verband sie. Nitechore aktivierte seinen eigenen.

„Mich nennt man Nitechore“, erwiderte er und richtete seinen Blick fest auf Vanitas.

„Wieso dann das rote V auf der Brust?“, fragte Vanitas und fügte hinzu. „Ich brauche sowas.“

„Es soll für Vesper stehen. Dämmerung, die Stunde zwischen Licht und Dunkel. Nitechore ist vermutlich aber der Name, der für die Menschen besser funktioniert.“

Ein Windstoß wehte über das Dach, zerrte an den zerrissenen Stofffetzen Vanitas’, ließ sie wie Schatten um ihn tanzen. Für einen Moment standen sie nur da: zwei Männer, die sich nicht vertrauten, aber wussten, dass sie in diesem Spiel vielleicht nur gemeinsam überleben konnten.


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