Kapitel 60 - Sake Nr.10
Samuel lehnte sich entspannt in den weichen Ledersitz des Skidcars zurück. Der Luxuswagen glitt nahezu lautlos durch die Straßen von Saint Veronika. Die Stadt lag draußen in einem sanften Schimmer, die letzten Reste der Abenddämmerung malten goldene Lichtkanten auf die Glasfassaden und spiegelten sich in der ruhigen Oberfläche des Flusses. Neonlichter begannen zu flackern, die ersten Clubs erwachten zum Leben und in den Fenstern der Hochhäuser sah man die Schatten von Menschen, die sich für die Nacht bereitmachten. Samuel schloss für einen Moment die Augen und spürte das leise Vibrieren des Motors, das gedämpfte Murmeln der Stadt und das angenehme Leder unter seinen Fingern. Für Sekunden war alles ruhig, dann kam der Wagen sanft vor einem modernen Wohnkomplex zum Stehen. Er öffnete die Augen. Direkt vor dem Eingang stand sie bereits.
In einem eleganten, aber unaufdringlichen Outfit, das ihre Ausstrahlung unterstrich, trat sie mit geschmeidigen Schritten an den Wagen heran. Als er die Tür öffnete, lächelte sie. Dieses Lächeln war nicht aufgesetzt oder berechnend, sondern echt und ein selten gewordenes Stück Ehrlichkeit.
„Na, wohin entführst du mich heute?“, fragte sie neckend und setzte sich mit einer lockeren Umarmung neben ihn.
„Sabine, du siehst fabelhaft aus.“ Samuel lächelte sie kurz an. „Ins Parker Side“, antwortete Samuel trocken. Schon in dem Moment, als er es sagte, wusste er, was kommen würde.
Sabine zog eine Augenbraue hoch, schob sich ein wenig zurück und sah ihn an. „Teurer geht’s kaum, oder?“
Er zuckte mit den Schultern und lächelte. „Nein, ehrlich gesagt nicht. Nicht, dass du es mir nicht wert wärst, aber die Entscheidung kam diesmal von Erik. Angeblich will er Eindruck schinden.“
Sie lachte leise und legte den Kopf schief. „Ich wäre mit dir auch in eine Pommesbude gegangen.“
Er erwiderte ihr Lächeln, ein kurzer, weicher Moment zwischen ihnen. Sabine wandte den Blick ab, schien etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber bleiben.
„Ich glaube, dafür haben wir später keine Zeit“, sagte sie leise, lehnte sich nach vorne und küsste ihn. Ihre Lippen trafen seine.
Er erwiderte den Kuss, erst vorsichtig, dann fester. Ihre Nähe, ihre Wärme – es war mehr als ein kurzer Moment.
Als sie sich lösten, verharrte Sabine kurz. Ihre Stirn lehnte an seiner. „Und wir haben noch etwas Zeit“, flüsterte sie, bevor sie ihn erneut küsste, dieses Mal länger, als würde sie etwas nachholen wollen, das längst überfällig war.
Der Fahrer sagte nichts. Der Wagen war abgedunkelt, sie hatten ihre kleine Welt für einen Moment ganz für sich allein. Und Saint Veronika, diese glitzernde Stadt zwischen Möglichkeiten und Geheimnissen, rauschte lautlos an ihnen vorbei.
Als sie das Restaurant erreichten, eine der exklusivsten Adressen in ganz Saint Veronika, atmete Samuel unwillkürlich tief durch. Das „Parker Side“ war kein Ort, an dem man einfach so vorbeischaute. Es war ein Statement. Schon von außen wirkte das Gebäude wie eine schimmernde Skulptur, eine präzise arrangierte Komposition aus Glas, Stahl und kühner Formensprache. In der Dämmerung spiegelten sich die warmen Lichter der Stadt in der transparenten Fassade, als würde das Restaurant das Leuchten der Metropole selbst einfangen und zurückgeben.
Die dezente Außenbeleuchtung war genau dosiert: kein grelles Licht, kein überflüssiger Glamour, sondern eine gezielte Inszenierung. Das Eingangsportal aus schwarzem Ebenholz wurde von schlanken Säulen flankiert, auf denen goldene Ornamente schimmerten. Im Inneren erstrahlten poliertes Kirschholz, schwere, cremefarbene Vorhänge und elegante Kronleuchter, die wie gefrorene Tropfen aus Licht über der funkelnden Bar hingen. Dort saßen Geschäftsleute, Medienikonen und Politiker – die schimmernde Oberfläche der Elite.
Sabine stieg mit jener lässigen Grazie aus dem Wagen, die man nicht lernen konnte, sondern die einfach da war. Ihr schwarzes Kleid, schlicht, aber meisterhaft geschnitten, schmiegte sich an ihren Körper, ohne aufdringlich zu wirken. Das Licht reflektierte an ihrem seidigen Stoff und ihre hochgesteckten Haare verliehen ihr etwas Königliches, beinah Unnahbares. Als sie Samuel anlächelte, spürte er, dass die Blicke anderer auf ihnen ruhten – und ihr war das völlig bewusst. Ihre Hand berührte seinen Arm, als sie gemeinsam zum Eingang gingen – eine Geste, die mehr als nur Höflichkeit bedeutete.
Am Eingang wartete Erik Schmidt. Samuel erkannte ihn sofort, allein schon an seiner Haltung. Der Mann strahlte wie immer die kontrollierte Selbstsicherheit eines Magnaten aus, der es gewohnt war, Entscheidungen zu treffen, ohne dass ihm jemand Fragen stellte. Der makellose Anzug, die akkurat gebundene Krawatte und das gepflegte, leicht silbrige Haar waren ein Bild der Macht.
Doch heute war etwas anders.
Neben ihm stand eine junge Frau, die kaum älter als Mitte zwanzig war. Sie hatte offene, lebhafte Augen und ein Lächeln, das nicht zum üblichen Profil von Eriks Begleitungen passte. Kein steifer Business-Chic, keine überpolierte Präsenz, sondern eine frische, natürliche Ausstrahlung. Ihre Haltung war locker, beinah verspielt, und doch spürte Samuel sofort, dass sie nicht zum ersten Mal hier war. Ihre Hand ruhte mühelos in Eriks Armbeuge, als gehörte sie dorthin – vertraut, aber nicht unterwürfig.
Erik bemerkte Samuels Blick und hob schmunzelnd die Brauen. „Samuel, darf ich vorstellen? Das ist Hannah. Sie hat sich netterweise bereit erklärt, mich heute Abend zu begleiten und mich zu retten, sollte ich mich in langweiligen Geschäftsfloskeln verlieren.“
Hannah reichte Samuel die Hand. Ihr Griff war fest, aber nicht übertrieben. „Freut mich sehr. Erik spricht oft über Sie, meistens mit bewundernder Ungeduld.“
Samuel erwiderte den Händedruck und musterte sie einen Moment länger als nötig. „Dann hoffe ich, er hat nicht zu sehr übertrieben.“ Er zwinkerte leicht. Die Chemie zwischen Hannah und Erik war schwer zu greifen, aber sie war da.
Bevor sich das Gespräch weiter entfalten konnte, wandte sich Erik an Sabine. Sein Blick wurde einen Hauch weicher, charmant, aber auch prüfend.
„Und wer ist die bezaubernde Dame an Ihrer Seite, Samuel?“, fragte er mit einem Anflug von Neugier, die nicht nur gesellschaftlich motiviert war.
Samuel wollte gerade antworten, als Sabine sich mit einem Schritt nach vorne schob und das Wort übernahm. „Sabine. Eine sehr gute Freundin“, sagte sie mit einem Tonfall, der gleichzeitig freundlich und eindeutig war. Ihr Lächeln war perfekt dosiert: nicht zu distanziert, nicht zu nah.
Samuel warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Zwischen den Zeilen lag etwas, das noch nicht ausgesprochen war.
Erik nickte höflich, wandte sich dann Hannah zu und bedeutete der kleinen Gruppe mit einer Geste, ihm ins Restaurant zu folgen.
Als sie die schweren Türen durchschritten und ihnen der Duft nach geräuchertem Rosmarin, Zitrusnoten und teurem Parfüm entgegenschlug, wusste Samuel: Dieser Abend würde nicht nur ein Dinner sein.
„Nun, gehen wir hinein. Der Abend ist noch jung, und ich habe gehört, dass die Küche hier außergewöhnlich sein soll“, sagte Erik mit einem Lächeln. Ohne zu zögern schritt er voran und führte die kleine Gruppe durch das breite Portal, dessen Türen sich lautlos öffneten.
Das Innere des Restaurants wirkte, als wäre es einem Traum entsprungen. Ein Mosaik aus poliertem Marmor in cremeweißen und grauen Tönen zog sich über den Boden und reflektierte das gedämpfte Licht der in die Decke eingelassenen Kristallleuchter. Die Wände waren mit dunklem Nussbaumholz verkleidet, durchbrochen von großen, leicht getönten Fenstern, die den Blick auf das nächtliche Saint Veronika freigaben: funkelnd, pulsierend, lebendig. Zwischen den Tischen flüsterten elegante Gäste miteinander, deren Stimmen sich mit dem leisen Klang eines Flügels vermischten. Der Pianist, ein älterer Mann mit seidenweißem Haar, ließ seine Finger sanft über die Tasten gleiten. Seine Musik war mehr Atmosphäre als Melodie: unaufdringlich und doch bestimmend.
Der Maître d'hôtel, ein Mann mit silberner Krawatte und der Haltung eines Zeremonienmeisters, führte sie zu einem der besten Tische des Hauses, einer halb abgetrennten Nische aus Rauchglas und schwarzem Samt mit direktem Blick auf die Mitte des Raumes. Es war ein Ort, an dem man gesehen werden wollte, ohne sich zu entblößen. Ideal für diskrete Beobachter.
Samuel hielt Sabine galant den Stuhl, eine Geste, die sie mit einem leichten, dankbaren Nicken annahm. Dann nahm er selbst Platz. Erik tat es ihm gleich und half Hannah, die sich so fließend bewegte, als gehörte sie seit Jahren in dieses Ambiente. Doch etwas in ihrer Haltung deutete darauf hin, dass sie das Spiel ebenso gut durchschaute, wie sie es spielte.
Noch ehe sie ein Wort wechseln konnten, erschien ein Kellner mit der Präzision eines Uhrwerks. In seinen Händen hielt er eine geöffnete Flasche Champagner, deren goldene Reflexe sich in den Gläsern spiegelten, als er sie einschenkte. Der Champagner perlte leise, fast ehrfürchtig.
Erik hob sein Glas. „Auf einen schönen Abend“, sagte er.
Die Gläser stießen an, ein kristallklares Klirren, das für einen Moment die Gespräche ringsum übertönte. Sabine warf Samuel einen kurzen, amüsierten Blick zu. Hannah prostete Erik zu, dann blieb ihr Blick für einen Hauch zu lang an Samuel hängen.
Der Kellner hatte sich diskret zurückgezogen, nur um kurz darauf mit der Weinkarte zurückzukehren. Er präsentierte sie mit einem leichten Bogen auf dem Tisch. Samuel nahm sie entgegen und überflog sie mit geübtem Blick. Er bemerkte, wie Erik die Karte ebenfalls studierte.
Doch bevor sich einer der beiden äußern konnte, beugte sich Hannah leicht vor. Ihr Haar fiel ihr dabei über eine Schulter und ihr Blick fand Samuels. „Was hältst du von dem Sushi auf der Karte?“, fragte sie mit schelmischem Unterton, der gleichzeitig herausfordernd und verspielt klang.
Samuel blätterte zur entsprechenden Seite. Sie hatte sich den teuersten Posten auf der Karte ausgesucht: die „Ōmi Omakase Platte“, ein Kunstwerk aus seltenem Blauflossenthun, Goldmakrele und Wagyu-Nigiri mit Trüffelschaum.
„Eine ausgezeichnete Wahl“, sagte er schließlich, mehr zu sich selbst als zu ihr. Sein Tonfall war ruhig, doch in seinem Kopf ratterte es.
„Dann nehme ich Sake Nr. 10“, fügte Erik trocken hinzu, ohne den Blick von der Karte zu heben. „Er passt hervorragend zu Sushi, zumindest wenn man dem Sommelier letzte Woche glauben darf.“
„Wir nehmen die Sushi-Platte für den ganzen Tisch“, sagte Samuel schließlich zum Kellner, der diskret auf ein Zeichen gewartet hatte. „Und dazu den besten Sake, den Sie empfehlen können, etwas, das subtil beginnt, aber Charakter hat.“
Der Kellner verbeugte sich leicht und notierte die Bestellung.
Als die vier sich wieder dem Gespräch zuwandten, spürte Samuel erneut Hannahs Blick. Offen, interessiert, aber auch … forschend. Schließlich durchbrach Samuel das Schweigen, das sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.
„Hannah, wir sind uns doch schon einmal irgendwo begegnet, oder?“, sagte Samuel leise, während der Klang von Besteck und gedämpftem Lachen wie ein ferner Strom um sie herumfloss. „Du kommst mir so bekannt vor … aber ich kann nicht sagen, woher.“
Hannahs Lächeln wurde ein wenig breiter. Sie lehnte sich sanft zurück, als wolle sie diesen Moment langsam auskosten, wie jemand, der die Antwort längst kennt, sie aber bewusst in der Schwebe hält. „Das ist gut möglich, Samuel“, sagte sie schließlich mit einer Stimme, in der Wärme und ein Hauch von Vergnügen lagen. „Wir waren auf derselben Schule. Du warst zwei Jahrgänge über mir. Aber ich erinnere mich gut. Damals sprachen viele über dich … Samuel Palmer, der stille, kluge Typ mit dem ernsten Blick.“
Samuel blinzelte. Etwas rührte sich in seinem Gedächtnis, ein Bild tauchte auf: ein Flur, ein flüchtiger Blick in ein Klassenzimmer voller Schatten. Dann fiel es ihm wie ein verlorenes Puzzlestück in die Hand. „Hannah … Hannah Fischer?“
Ein herzliches, beinah kindliches Lachen entfuhr ihr. Offen, ungekünstelt. „Ja, genau die“, sagte sie. „Ist schon eine Weile her, oder?“
„Das kann man wohl sagen“, erwiderte Samuel und ein Lächeln zuckte über seine Lippen. Er musterte sie einen Moment lang mit dieser stillen, intensiven Art, die nie ganz abschätzbar war. Erstaunlich, ihr Gesicht hatte sich verändert.
Erik beugte sich leicht nach vorn. „Ihr kennt euch also schon länger?“ Seine Stimme klang beiläufig, doch sein Blick wanderte prüfend zwischen ihnen hin und her.
„Kann man so sagen“, antwortete Samuel diesmal mit einem Anflug von Ironie. „Wir sind zur selben Schule gegangen. Danach haben wir uns aus den Augen verloren.“ Aber Hannah war schon damals ... auffällig.“
Sabine, die bisher geschwiegen hatte, hob leicht eine Augenbraue, als Samuel kurz seine Hand auf ihr Knie legte – eine Geste, die gleichzeitig beruhigend und klärend wirkte. Sie war zu souverän, um sich etwas anmerken zu lassen.
„Du hast dich kaum verändert, Samuel“, sagte Hannah und ihr Blick ruhte ruhig auf ihm. „Etwas ernster vielleicht. Oder fokussierter. Aber das warst du ja immer.“
„Und du wirkst … angekommen“, sagte Samuel nachdenklich. „Sicherer. Früher warst du oft mit den Künstlern unterwegs, wenn ich mich richtig erinnere.“
Hannah lachte leise. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich je ganz angekommen bin. Aber ich tue mein Bestes.“ Sie hob ihr Glas leicht. „Auf unerwartete Wiedersehen?“
„Auf unerwartete Wiedersehen“, wiederholte Samuel. Ihre Gläser berührten sich mit einem leisen, klaren Klang.
Das Essen war bestellt, der Wein war perfekt temperiert, aber es lag etwas anderes in der Luft: ein leises Vibrieren zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Erinnerung und Absicht.
Endlich wurde das Sushi serviert. Die kunstvoll arrangierten Platten wirkten fast zu schön, um sie anzurühren: eine Symphonie aus Farben, Formen und Düften. Es gab Lachs, Thunfisch und Jakobsmuscheln, dazu zarte Algenrollen und winzige Tupfer Wasabi.
Als schließlich der Sake kam – warm und klar in zarten, handgefertigten Bechern – hob Erik mit theatralischer Geste sein Glas und lächelte gewinnend, was ihm oft Türen öffnete. „So einen besonderen Abend erlebt man nicht oft“, sagte er mit sonorer Stimme. „Auf alte Freundschaften … und neue Erinnerungen.“
Die Gläser berührten sich mit einem leisen, kristallhellen Klang, der fast feierlich wirkte. Samuel lächelte und schüttelte kaum merklich den Kopf. Aus einem nüchternen Geschäftstreffen war längst ein Abend geworden, den man nicht so leicht vergaß.
Das Dessert war ein Kunstwerk: ein zartes Schokoladenküchlein mit flüssigem Kern, begleitet von einer Kugel hausgemachtem Vanilleeis und bestäubt mit hauchfeinem Kakaopulver. Daneben lagen winzige Beeren wie Edelsteine, und eine goldene Sauce aus Passionsfrucht und Honig zog sich wie ein gemalter Pinselstrich über den Teller.
Samuel ließ den Löffel kurz über dem Teller schweben, ehe er probierte. Der Geschmack war warm und dunkel wie ein lang gehütetes Geheimnis. Für einen Moment schwieg der Tisch. Genuss braucht keine Worte.
Dann lehnte er sich zurück. Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen und wurde durch eine leise Entschlossenheit ersetzt. Er spürte die Süße noch auf der Zunge, doch sein Blick war klar und fokussiert.
Er stellte das Weinglas behutsam auf den Tisch. Er räusperte sich.
Dann sah er Erik direkt an.
„Erik“, begann Samuel mit ruhiger Stimme, „ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um über etwas zu sprechen, das mir in letzter Zeit oft durch den Kopf gegangen ist.“
Erik legte sein Dessertbesteck mit einer beinahe zeremoniellen Geste zur Seite, richtete sich auf und sah Samuel direkt an. Seine Miene wurde ernst. „Was ist los, Samuel?“
Samuel holte tief Luft, als würde er sich innerlich sammeln, und lächelte dabei fast entschuldigend. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Wochenlang. Und ich bin zu einem klaren Entschluss gekommen.“
Ein kurzer Blick ging zu Sabine, dann wieder zu Erik.
„Pretorius Tech steht gut da, und das liegt auch an dir. Du machst einen ausgezeichneten Job als Geschäftsführer. Wirklich. Ich habe volles Vertrauen in deine Fähigkeiten.“
Erik runzelte leicht die Stirn, neigte sich etwas vor, als wolle er den Subtext in Samuels Stimme genauer erfassen. „Das freut mich zu hören“, sagte er langsam. „Aber worauf willst du hinaus?“
Samuel nahm einen letzten Schluck Wein, ließ ihn kurz auf der Zunge, bevor er sprach. „Ich will mich ein wenig zurückziehen. Weg vom Tagesgeschäft. Weniger Sitzungen, weniger Strategiepapiere, weniger Kontrolle.“
Erik hob leicht die Augenbrauen, schwieg aber.
Samuel fuhr fort: „Ich möchte mich wieder auf das konzentrieren, was mich ursprünglich zu all dem gebracht hat: die Technologie. Die Ideen. Die Neugier. Ich will wieder forschen, entwickeln, denken. Ohne den Druck, ein Imperium zu führen.“
Erik ließ die Worte sacken. Er spielte kurz mit seinem Löffel, stellte ihn dann beiseite und blickte Samuel aufmerksam an. „Du willst also, dass ich Pretorius Tech künftig alleine führe?“
„Ja“, sagte Samuel schlicht. „Du wirst alle operativen Entscheidungen übernehmen. Ich bleibe im Hintergrund als Berater und Mitdenker, aber nicht mehr als jemand, der täglich von Zahlen, Meetings und Deadlines getrieben wird.“
Hannah, die bisher still zugehört hatte, sah erst Erik, dann Samuel an. Ein sanftes, nachdenkliches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. „Es ist wichtig, sich die Zeit für das zu nehmen, was einem wirklich am Herzen liegt. Das vergessen wir viel zu oft.“
„Genau das“, antwortete Samuel mit fast erleichterter Stimme. „Ich habe zu lange funktioniert. Jetzt möchte ich wieder leben.“
Ein kurzer Moment der Stille folgte. Dann nickte Erik langsam. „Wenn das dein Wunsch ist, Samuel“, sagte er leise, aber fest, „dann werde ich das Unternehmen so weiterführen, wie du es dir vorstellst. Mit dem gleichen Engagement und der gleichen Leidenschaft, mit der dein Vater und Albert es einst aufgebaut haben. Du hast mein Wort.“
Samuel spürte, wie sich eine innere Anspannung in ihm löste. Er lächelte, griff erneut nach seinem Glas und hob es leicht an. „Dann trinken wir auf das, was vor uns liegt. Auf Freundschaft, Vertrauen und neue Wege.“
„Auf neue Wege“, wiederholte Erik.
„Und auf ein bisschen mehr Leben“, fügte Hannah schmunzelnd hinzu.
Die Gläser klangen leise aneinander, der Wein schmeckte nun noch ein wenig runder und wärmer.
Nach dem letzten Bissen Dessert und einem letzten Schluck Sake löste sich die kleine Runde schließlich auf. Samuel half Sabine in ihren Mantel, während Erik Hannah die Tür aufhielt. Gemeinsam verließen sie das Restaurant und traten hinaus in die frische Nachtluft.
Die Straßen glänzten vom leichten Regen, und über den Dächern von Saint Veronika funkelten die Sterne.
„Es war ein schöner Abend“, sagte Hannah leise, als sie sich von Samuel verabschiedete. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“
„Das hoffe ich auch“, entgegnete er, nahm ihre Hand und drückte sie freundlich. Dann wandte er sich an Erik, der ein paar Schritte entfernt wartete.
„Pass gut auf die Firma auf“, sagte Samuel. „Und auf dich.“
Erik nickte, trat näher und legte Samuel die Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen. Ich schaukle das. Genieß du deine Freiheit. Du hast es dir verdient.“
Samuel lächelte, ein stilles, echtes Lächeln, und stieg mit Sabine in den wartenden Wagen.
Während das Skidcar lautlos in die Nacht glitt, warf er einen letzten Blick auf Erik und Hannah, die langsam unter den Lichtern der Stadt verschwanden.
Sie saßen nebeneinander im Skidcar, das lautlos durch die nächtliche Stadt glitt. Die Lichter von Saint Veronika zogen wie ein ruhiger Strom an den getönten Fenstern vorbei: Neon, Gold, ein Hauch Regen auf dem Glas.
Samuel blickte nachdenklich hinaus, ehe er sich Sabine zuwandte. Seine Stimme war ruhig, fast zögerlich:
„Was meinst du, Sabine? War das ein guter Schritt?”
Sie schwieg einen Moment, beobachtete ihn mit einem prüfenden Blick, der mehr sah, als er manchmal zulassen wollte. Dann zuckte sie mit den Schultern und lächelte leicht.
„Ein mutiger Schritt, keine Frage. Aber nicht alles im Leben muss mit Gewalt festgehalten werden.“
Sie lehnte sich näher zu ihm, ihr Ton wurde wärmer und weicher.
„Und ganz ehrlich, mein Kopf ist gerade bei etwas völlig anderem.“
Ihre Hand berührte seine ganz selbstverständlich, als gehöre sie dorthin. Ihr Blick traf seinen, intensiv und direkt.
„Wir können morgen früh bei dir über große Entscheidungen reden“, sagte sie leise und fügte dann fast spielerisch hinzu: „Am besten bei Kaffee. Und ohne Anzug.“
Bevor er etwas erwidern konnte, beugte sie sich vor. Der Kuss, den sie ihm gab, war alles andere als zaghaft, ganz anders als der vorsichtige von vor ein paar Stunden.
Als sie sich langsam zurückzog, hatte sich ein feines Lächeln auf ihre Lippen gelegt.
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