Kapitel 58 - Erbe
In Crescent City fiel der Regen wie ein stetiger, weicher Schleier lautlos herab und verwischte die Konturen der Stadt. Es war ein regnerischer Sommerabend. Die Luft war dicht und gesättigt mit dem Geruch von verrottetem Holz, rostigem Metall und etwas Unerklärlichem, das tief aus dem Sumpf zu kommen schien. Therion Vesperi stand unbewegt am Rand der alten Straße. Er war eine dunkle Silhouette, breitschultrig und reglos wie eine Statue, die dem Verfall trotzte. Der glatte Teer unter seinen Füßen war von der Zeit gezeichnet: aufgebrochen, zerfurcht und inzwischen von Moosen überzogen, die in leuchtendem Grün ihre Rückeroberung zelebrierten. Der Kragen seines dunklen Mantels war bis unter die Augen gezogen, sein Gesicht war halb verborgen und sein Blick wachsam. Unter seinen schweren Stiefeln glitschte der rutschige Untergrund, als würde die Erde ihm den Weg verwehren wollen.
Der Ort war nirgends verzeichnet, weder in offiziellen Karten noch in inoffiziellen Netzwerken. Und genau dort stand es: ein graues, eingewachsenes Gebäude, halb von der Natur verschlungen, halb trotzig dem Verfall widerstehend. Es war eine Mischung aus verlassenem Forschungslabor und geheimnisvoller Bastion, ein Unort mit Geschichte.
Hier arbeitete und lebte Dr. Shazad Hajar. Botaniker und Bioingenieur.
Therion durchschritt das hohe Gras, das sich wie lebendige Finger an seine Kleidung klammerte. Die Vegetation war ungewöhnlich.
Noch ein paar Schritte, dann stand er vor der Tür: eine Fläche aus Biopolymer, eingefasst von verkrusteten Wurzeln, die sich wie klammernde Finger darüber gelegt hatten. Es gab kein Namensschild und kein Emblem. Nur das Gefühl, dass dies der Eingang zu etwas war, das längst begraben sein sollte.
Therion legte seine Hand auf die Oberfläche. Es gab kein elektronisches Summen, keinen sichtbaren Scan, nur ein leises, kaum spürbares Vibrieren. Dann glitt die Tür zur Seite, langsam und geräuschlos, als würde sie von einem unsichtbaren Atem bewegt.
Drinnen herrschte Stille. Kein Summen von Maschinen, kein künstliches Licht. Es gab auch keine Begrüßung durch eine KI oder ein automatisiertes System. Nur Dunkelheit und das leise, regelmäßige Tropfen von Wasser irgendwo in der Tiefe. Die Tropfen klangen wie fallende Sekunden in einem Raum ohne Zeit. Und Therion trat ein.
„Ich höre, wir haben Besuch“, sagte eine Stimme, ruhig und zugleich wachsam. Ein Mann mit grauem Haar und kurzem, gepflegten Bart trat aus dem schummrigen Korridor. Sein Gesicht war gezeichnet von den Jahren, aber nicht allein vom Alter, sondern auch vom Nachdenken, vom Forschen und vom ständigen Abwägen zwischen Ethik und Vision. Er war afrikanischer Herkunft, hatte schmale, tiefgründige Augen, die mehr verstanden, als sie zugeben wollten.
Therion lächelte, trat einen Schritt vor und umarmte ihn herzlich. „Shazad. Schön, dich zu sehen. Es ist wirklich viel zu lange her.“
Shazad Hajar, der sonst eher ein Mann der leisen Töne war, erwiderte die Umarmung ungewohnt fest. „Wie komme ich zu dieser Ehre?“, fragte er dann mit einem vorsichtigen, fast schelmischen Lächeln.
„Ich wollte nach dir sehen“, erwiderte Therion, dem der ernste Ton nicht ganz zu verbergen war. „Citadel hat versucht, mich loszuwerden. Da dachte ich, wenn sie es bei mir versuchen, könnten sie es auch bei dir tun.“
Shazad hob eine Braue, dann winkte er ab. „Ach, hier ist alles gut. Ich glaube nicht, dass jemand von Citadel den Mut hat, sich mit mir anzulegen. Die halten mich für einen verschrobenen Exzentriker, und das spielt mir in die Karten.“
Er drehte sich um, hob die Hand und bedeutete Therion, ihm zu folgen. Die beiden gingen durch einen von rankenden Pflanzen gesäumten Gang, als hätte das Labor selbst begonnen, sich zu regenerieren. „Ich forsche mittlerweile seit Jahren mit Dr. Jareth Black zusammen“, sagte Shazad beiläufig.
Shazad öffnete eine Tür. Dahinter lag ein lichtdurchfluteter Raum, der in einem sanften, grünlichen Schimmer stand – das Herz ihres Labors. An einem Pult voller digitaler Wurzeldiagramme und leuchtender Bio-Schnittstellen stand ein kräftiger Mann mit Glatze, kantigem Gesicht und wachen, analytischen Augen.
„Bisher habe ich nur von Ihnen gehört“, sagte Therion und reichte ihm die Hand. „Therion Vesperi.“
Dr. Jareth Black nahm die Hand, sein Griff war fest, seine Miene sachlich, aber neugierig. „Der Shootingstar schlechthin. Beeindruckend, was Sie in Kansas gemacht haben.“
Therion lächelte angedeutet, doch sein Blick glitt zur Seite, als wolle er einem Schatten ausweichen. „Eigentlich war das nie der Plan. Ich sollte nie wieder so in den Mittelpunkt rücken.“
Black musterte ihn einen Moment lang. „Nie wieder?“
Therion nickte langsam. „Die Welt hat sich verändert. Früher reichte ein Name, um Aufsehen zu erregen. Heute verschwinden Geschichten schneller, als sie geschrieben werden.“
Ein Moment der Stille trat ein, ehe Shazad sich einmischte. Er trat mit leuchtenden Augen dazwischen, wie jemand, der es kaum erwarten kann, seine Begeisterung zu teilen. „Mein alter Freund hier“, sagte er und zeigte auf Black, „hat viel erlebt. Mehr, als ein Mensch eigentlich tragen sollte. Aber was auch immer gewesen ist, lassen wir ihn mit seinen alten Geschichten in Frieden.“
Dann machte Shazad eine einladende Geste. „Komm, ich zeige dir unser Heiligtum. Das Labor, das Herz all unserer Arbeit. Vielleicht gefällt dir, was wir dem Chaos dieser Welt entgegensetzen.“
Gemeinsam traten sie durch eine weitere Tür. Das Labor war nicht das, was man erwartet hatte. Es war kein steriler Kasten aus Glas und Stahl, kein Raum voller kalter Oberflächen, blinkender Lichter und technokratischer Strenge. Nein, dieses Labor lebte. Es pulsierte und atmete. Es war ein organisches Wesen, ein Ort, der nicht nur geschaffen, sondern gewachsen war. Schon beim Eintreten umfing Therion ein dichter, feuchter Geruch, der sich wie Nebel in jede Faser legte. Es war der Duft von nasser Erde, morschem Holz und von lebenden Wurzeln. Der Geruch war nicht unangenehm, sondern archaisch. Uralte Erinnerung mischte sich mit neuester Technologie. Pflanzen wucherten überall: aus Töpfen, Spalten und Deckenritzen. Sie krochen über metallene Trägerstreben, schoben sich über die Wände und rankten sich bis in das gedämpfte Licht der Deckenlampen. Diese wirkten wie organische Gebilde, geformt aus transluzentem Biopolymer, das in warmem Goldgrün schimmerte. Einige Pflanzen schienen gezielt kultiviert, andere wucherten hingegen frei, als hätten sie sich längst entschieden, sich den Raum untertan zu machen. Ihre Blätter bewegten sich kaum merklich im Rhythmus eines kaum hörbaren Luftstroms, als würde das gesamte Labor, ja die gesamte Struktur, leise atmen.
Aus tiefen Becken stieg schwacher Dampf auf. In diesen Wannen lag trübes, sumpfiges Wasser, aus dem exotische Pflanzen emporschossen: schimmernd, fleischig, fremdartig. Manche ihrer Blüten öffneten sich bei Bewegung in ihrer Nähe und entfalteten Farben, die zwischen lebhaftem Karminrot und phosphoreszierendem Blau changierten, als wollten sie sich präsentieren, locken und verführen. Es war Schönheit, aber auch Warnung. Darüber hinweg summten libellenartige Drohnen. Ihre Flügel vibrierten lautlos. Sie bewegten sich zielgerichtet, schwebten über die Wannen, befühlten die Blätter mit ihren feinen Antennen, scannten, analysierten und lernten. Sie waren halb Natur, halb Maschine, künstlich, aber nicht leblos. In kleinen, erhöhten Gehäusen, halboffenen Terrarien, entstanden ganze Ökosysteme im Miniaturformat. Dort wuchsen pilzartige Gewächse neben moosbedeckten Steinen und winzige Amphibien bewegten sich träge durch die feuchte Unterwelt. In den Aquarien daneben pulsierte biolumineszierendes Leben unter Wasser, langsam und hypnotisch. Lichtmuster wanderten über die Algenwände, als folgten sie einem eigenen Takt, einem Herzschlag, der mit dem des Labors synchronisiert war.
Im Zentrum des Raumes stand ein langer Arbeitstisch aus dunklem Holz, der fast zu schlicht wirkte, um hierherzugehören. Doch auch dieser war Teil des Systems geworden. Über ihn hatten sich Wurzeln gelegt, Moose hatten sich darauf gebettet. Zwischen lebenden Pflanzenteilen steckten Reagenzgläser, manche davon in durchsichtigen Kuppeln, in denen die Photosynthese kontrolliert verstärkt wurde. Dünner, kühler Nebel schwebte über der Tischplatte, erzeugt von einem System, das Temperatur, Feuchtigkeit und Licht an natürliche Zyklen anpasste.
An den Wänden hingen Displays, die nicht kalt und grell, sondern in warmen Farben getaucht waren. Auf ihnen flimmerten Zellstrukturen, spannten sich biologische Netze und liefen Gen-Sequenzen in tanzenden Mustern. Auch diese Bildschirme wurden langsam von Ranken umschlungen. Es wirkte wie eine stille Revolte der Natur gegen den Kontrollzwang des Menschen.
Einige Pflanzen leuchteten. Nicht zufällig, sondern gezielt. Ihre DNA war verändert worden, sie waren lebende Sensoren. Sie reagierten auf Reize und gaben Informationen in Form von Farben, Lichtimpulsen oder Blattbewegungen weiter. Das Labor nutzte sie wie die Organe eines größeren Körpers. Es war, als hätte man hier die Grenze zwischen biologischem Leben und technischer Intelligenz nicht nur überschritten, sondern verwischt.
Therion blieb einen Moment stehen, den Kopf leicht geneigt, die Schultern ruhig. Er sog den Geruch ein, hörte das entfernte Tropfen, das Summen der Drohnen und das leise Rascheln der Blätter.
„Das ist unser Reich“, sagte Shazad mit stolzem Unterton in der Stimme und präsentierte das Labor mit einer weiten Geste. Dabei glänzten seine Augen nicht nur vor Begeisterung, sondern auch vor tiefer Überzeugung. „Hier arbeiten wir mit den Errungenschaften des Klimawandels. Neue, angepasste Pflanzenarten. Wesen, die sich nicht nur an die Welt von morgen anpassen, sondern sie auch formen.“
Therion trat einen Schritt weiter in das grüne Halbdunkel hinein. Die Luft war schwer vom Duft exotischer Gewächse und feuchtem Leben. „Das ist wirklich … beeindruckend“, sagte er. Seine Stimme klang ruhig und fast ehrfürchtig. Die Welt, die sich vor ihm ausbreitete, wirkte wie aus einem fremden Kapitel der Evolution.
„Woran arbeitet ihr im Moment?“, fragte er und richtete seinen Blick auf ein pulsierendes Moosfeld, das sanft im Rhythmus der darunter verborgenen Technik glühte.
Shazad lächelte vage, beinahe geheimnisvoll. „Komm mit. Ich zeige dir etwas.“
Er führte Therion zu einer kleinen Station am Rande des Labors. Zwischen rankenüberzogenen Regalen und dunstigen Glaskuppeln stand ein einfacher Arbeitstisch. Darauf ruhte ein einzelnes Reagenzglas mit einer tiefgrünen Flüssigkeit, die leise pulsierte, als würde sie atmen. Neben dem Tisch stand ein Terrarium, das von innen leicht beschlagen war. Darin lag eine kleine Maus, reglos und eindeutig tot.
„Ich habe ein Serum entwickelt“, sagte Shazad leise. „Ein Heilmittel aus einer völlig neuartigen Pflanze, die wir hier gezüchtet haben. Sie hat Eigenschaften, die wir bis vor wenigen Jahren für unmöglich hielten: Zellerneuerung. Neuroregeneration. Vielleicht sogar ... Rückkehr.“
Therion zog eine Augenbraue hoch und spürte, wie sich eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. „Rückkehr?“
Ohne zu antworten, öffnete Shazad das Terrarium und nahm das Reagenzglas zur Hand. Mit ruhiger Hand ließ er einen einzigen Tropfen der leuchtenden Substanz auf die Lippen der toten Maus fallen. Die Flüssigkeit glitt zäh und schwer auf das Fell und verschwand langsam zwischen den Barthaaren. Für einen Moment geschah nichts, dann flackerte ein seltsames grünes Leuchten unter den geschlossenen Lidern des Tieres auf. Es war nur ein Augenblick, ein kurzes Aufflackern, wie ein inneres Aufbäumen. Dann zuckte der kleine Körper. Ein Bein. Ein Ohr. Der Kopf hob sich leicht. Und schließlich setzte sich die Maus langsam, aber eindeutig in Bewegung. Taumelnd kletterte sie über einen Zweig und schnupperte in die Luft. Lebendig.
„Verdammt …“, murmelte Therion. „Das ist beeindruckend und irgendwie verdammt gruselig.“
Shazad lachte leise, ein kehliges, fast kindliches Lachen, das in diesem halbdunklen Biotempel einen seltsam unheimlichen Klang hatte. „Fantastisch, oder? Es ist, als hätten wir eine Tür geöffnet, eine, die bisher nur in Legenden existierte.“
Er stellte das Reagenzglas behutsam zurück und drehte sich zu Therion. „Aber lass uns nicht gleich philosophisch werden. Mach es dir bequem.“ Er deutete auf eine Sitzgelegenheit, die halb organisch, halb künstlich aus verwobenem Pflanzenmaterial gewachsen war und sich weich unter dem Gewicht formte.
Therion setzte sich und nickte. „Klingt gut.“
Die nächsten Stunden vergingen ruhig. Die beiden alten Freunde versanken in Gesprächen, die tiefer reichten als bloße Erinnerungen. Sie sprachen über ihre Zeit bei Citadel, über Expeditionen, gefährliche Missionen, Momente voller Adrenalin und andere, die ihnen bis heute das Herz schwer machten. Zwischen Lachen und stillen Blicken lag vieles Ungesagte, doch umso mehr verstanden sie einander.
Im Hintergrund bewegte sich Dr. Jareth Black wie ein Schatten durch das Labor. Er arbeitete still und methodisch, vergraben in Datenströmen und Proben. Nur hin und wieder war ein kaum hörbares Schnaufen zu vernehmen, wenn eine Bemerkung seine Aufmerksamkeit erregte – eine Mischung aus Skepsis und Belustigung, wie von jemandem, der zu viel gesehen hat, um sich noch von Geschichten beeindrucken zu lassen.
Stunden später saß Therion an einem schlichten Holztisch in einem anderen Teil des Labors. Der Raum war karg eingerichtet, es gab kaum mehr als einen Tisch, ein paar Stühle und eine kleine Leuchte, deren weiches Licht auf die grobe Holzmaserung fiel. Es war eine Art improvisiertes Esszimmer, ruhig und abgeschottet vom pulsierenden Leben des Hauptlabors. Black saß ihm gegenüber. Sein Blick war fest und beinah sezierend, als wolle er Therion Schicht für Schicht durchleuchten.
„Du magst mich nicht, oder?“, fragte Therion irgendwann. Sie hatten sich im Laufe der letzten Stunden auf das Du geeinigt – ein Schritt in Richtung Vertrauen, wenn auch ein vorsichtiger.
Black überlegte einen Moment. „Ich weiß nicht“, sagte er schließlich langsam und ehrlich. Dann, wie aus dem Nichts: „Wie alt bist du eigentlich?“
Therion schmunzelte und senkte den Blick auf das Tischholz. „Deutlich älter, als du denkst.“ Eine Pause. „Du hast meine Fähigkeiten gesehen.“
Black nickte kurz, aber deutlich. Dann suchte er seine Worte. Lange. Schließlich sagte er: „Scheinbar muss ich mich mit dieser Antwort zufriedengeben.“
Therion richtete sein Besteck vor sich aus, sorgfältig wie jemand, der im Kleinen Ordnung sucht, wenn im Großen alles aus dem Gleichgewicht geraten ist. „Ich habe schlechte Erfahrungen damit gemacht, alles klar anzusprechen. Geheimnisse waren oft der Preis für das Überleben.“
In diesem Moment öffnete sich die Tür mit einem leichten Zischen und Shazad trat mit einem breiten Lächeln und einem dampfenden Topf in den Händen herein. Die Aromen, die ihm vorausgingen, waren würzig, tief und erdig.
„Na, was wird hier so ernst geredet?“, fragte er mit überschwänglichem Tonfall. Dieser konnte jedoch nicht ganz über das gespannte Gespräch hinwegtäuschen.
Black schüttelte leicht den Kopf, als wollte er sagen: „Nichts, was du wissen musst.“ Therion half mit einem dezenten Lächeln nach: „Was gibt’s denn Leckeres?“
„Mein berühmter Wurzeleintopf!“ Shazads Augen glänzten, während er mit einer großen Suppenkelle die dampfende Masse auf tiefe Keramikteller verteilte. „Du wirst Dinge schmecken, die dein Gaumen noch nie erlebt hat.“
Sie begannen zu essen. Und tatsächlich, der Geschmack überraschte. Einige der Wurzeln hatten eine fleischähnliche Konsistenz und erinnerten mit ihren Aromen an deftige Gerichte aus alten Zeiten. Es schmeckte ein wenig nach Linsensuppe, aber intensiver und fremder. Lebendiger.
„Du willst also mehr als nur einen kurzen Besuch abstatten, stimmt's?“, fragte Shazad irgendwann, seine Stimme plötzlich ruhiger und ernster als zuvor. Der Löffel blieb über dem Teller hängen.
Therion blickte auf. Für einen Moment überlegte er, dann sagte er: „Ich weiß es noch nicht genau. Ich werde auf jeden Fall zurück nach Kansas müssen. Dort wird sich alles entscheiden.“
Shazad hob eine Augenbraue. „Was passiert in Kansas?“
Therion legte das Besteck beiseite und wischte sich langsam den Mund ab. „Wir werden Bera treffen. Ein Wesen, gegen das ich bereits einmal gekämpft habe. Er ist ein Shenth. Eine Art Champion, vielleicht sogar ein Vorbote.“
Black hörte ebenfalls auf zu essen. Seine Stirn spannte sich leicht, als würde sein analytisches Denken sofort auf vollen Touren laufen.
„Die Shenth sind eine Alienrasse“, fuhr Therion fort, „und sie planen, Terra zu erobern – oder vielmehr auszubeuten. Ihr Anführer Apex hat sich bereits gemeldet. Eine öffentliche Botschaft, ohne Zweifel. Sie werden angreifen.“
Shazad lehnte sich langsam zurück und wurde nachdenklich.
„In Kansas steht ein Obelisk, den sie Marker nennen. Er wurde von Bera bewusst hinterlassen. Es ist ein bedeutender Ort für sie. Dort, so glauben wir, wird der Angriff beginnen. Sie wollen Terra als Mine benutzen. Sie suchen etwas, das wir noch nicht verstehen, vielleicht ein bestimmtes Erz oder einen Stein. Und dafür wollen sie in den Planeten bohren.
Ein Moment völliger Stille senkte sich über den Raum. Man hörte nur das ferne Summen des Labors hinter den Wänden und das leise Tropfen von Kondenswasser in der Nähe. Selbst Shazad, der sonst nie um ein Wort verlegen war, schwieg.
Black war der Erste, der sich wieder bewegte. Seine Finger tippten leise auf den Tisch. „Du glaubst, es wird bald passieren?“
Therion nickte. „Sehr bald.“
Shazad nahm einen Schluck aus seiner Tasse und stellte sie bedächtig ab. Dann sagte er leise: „Dann sollten wir uns vorbereiten. Wenn Terra zur Beute wird, muss jemand da sein, der den Jägern gegenübertritt.“
„Was willst du uns damit sagen?“ Black sprach ruhig, doch seine Augen verengten sich misstrauisch.
Therion sah kurz zu Shazad, dann zurück zu Black. „Ich wollte mit Shazad sprechen. Ob er mitkommt. Ich brauche jemanden, der den Feind lesen kann, so wie früher. Wir waren ein gutes Team.“
Shazad legte demonstrativ seinen Löffel zurück in die Schale und nahm sich noch eine Portion, als wolle er die Bedeutung der Entscheidung durch Normalität herunterspielen. Doch sein Tonfall verriet Entschlossenheit. „Ich komme mit. Keine Frage. Fahren wir morgen los?“
Therion nickte. „Wir sollten.“
Da räusperte sich Black. „Ich will auch mitkommen.“ Sein Blick lag nun direkt auf Therion. „Ich habe andere Erfahrungen als ihr, denn ich wurde in der Armee des Kingdoms ausgebildet. Nicht nur für Schlachten, sondern auch für Situationen, die man nicht trainieren kann.“
Therion betrachtete ihn ernst. In seinem Ton lag weder Ironie noch Zweifel, sondern nur ein sachliches: „Das ist deine Entscheidung.“ Ein kurzes Nicken begleitete die Worte. „Wir sollten“
Ein lautes Krachen unterbrach ihn. Dann folgte ein metallisches Knallen, gefolgt von splitterndem Glas. Es kam aus dem Hauptlabor.
Blitzschnell war Black aufgesprungen. Mit geübter Hand griff er unter die Sitzbank, zog ein verborgenes Gewehr hervor und klickte das Magazin mit einem geübten Handgriff ein. Therion war ebenfalls auf den Beinen, die Hände geöffnet, bereit anzugreifen. Niemand sagte etwas. Sie brauchten keine Worte.
Shazad war stehen geblieben und starrte zur Tür. Seine Finger waren fest um die Tischkante gekrallt.
Mit lautlosem Einverständnis bewegten sich Therion und Black in Richtung Labor. Ihre Schritte waren geschmeidig und präzise. Der Korridor war schwach beleuchtet und nur vom matten Schein des Mondes durchbrochen, der durch die große Glasfront des Labors fiel.
Im weißen Licht des Mondes zeichnete sich eine Silhouette ab alleinstehend und bewegungslos. Der Körper war von einem langen Mantel umhüllt, das Gesicht im Schatten verborgen.
„Kein Schritt weiter!“, befahl Black mit harter Stimme und hob das Gewehr. Das Metall glänzte matt im Licht.
Die Gestalt hob langsam die Hände, um keine Bedrohung auszustrahlen. „Mein Name ist Jakob Voss“, sagte er ruhig und mit fester, klarer Stimme.
Therion und Shazad tauschten einen überraschten Blick. Fast gleichzeitig murmelten sie: „Ernsthaft? Faust?“
Therion trat einen Schritt nach vorne. „Bist du im Auftrag von Citadel hier? Sag es sofort.“
Die Antwort kam zögerlich und fast beschämt: „N… nein. Ich bin auf der Flucht.“
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