Kapitel 51 - Sand
Nathaniel nahm seine Wasserflasche, wischte sich den Schweiß von der Stirn und verließ mit großen Schritten den Übungsplatz. Die Nachmittagssonne brannte heiß auf den staubigen Boden, während in der Ferne das metallische Klirren von Übungswaffen zu hören war. Kurz ließ er den Blick über das Gelände schweifen, bevor er zielstrebig auf die schattige Tischgruppe unter den alten, ausladenden Bäumen zusteuerte. Dort saß bereits Maila, die Arme auf dem Tisch verschränkt, das Gesicht halb im Schatten. Sie hatte ihre Pause früher begonnen, wie so oft in letzter Zeit, wenn die Übungen zu viel wurden. Ihr Blick ruhte auf dem Himmel zwischen den Zweigen, doch als sie Nathaniel kommen sah, huschte ein schwaches Lächeln über ihre Lippen.
Obwohl sie sich erst seit ein paar Wochen kannten, hatte sich zwischen ihnen eine stille Vertrautheit entwickelt, wie sie selten zu finden war. Worte waren oft gar nicht nötig. Irgendetwas in ihren Geschichten, in ihrem Schmerz verband sie.
Maila war besonders, sie konnte das Wasser kontrollieren. Er verstand sie. Nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten, sondern auch wegen dem, was sie durchgemacht hatte. Ihr Vater war grausam ermordet, ihre Mutter und ihre Schwester verschleppt worden. Nathaniel hatte „nur“ seinen Vater verloren, aber das Wort klang wie Hohn. Er war nicht einfach gestorben, er war zum Feind übergegangen und von ihm kontrolliert worden.
Der Wind war warm und trug den süßen Duft der Blätter mit sich, als er einige davon sanft zu der kleinen Baumgruppe wehte. Dort, im Schatten des grüngoldenen Blätterdachs, saß Maila mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem moosbedeckten Baumstamm. Ihr Blick ruhte auf Nathaniel, offen, ehrlich, begleitet von einem breiten Lächeln, das mehr sagte als Worte.
„Wie war ich heute?“, fragte sie schließlich mit leiser Neugier in ihrer Stimme.
Nathaniel erwiderte ihren Blick. Trotz allem, was sie verloren hatte, trotz der Narben, die sie vermutlich trug, sichtbar oder unsichtbar, blieb Maila ein Lichtblick in seinem Leben.
„Es wird immer besser“, antwortete er schließlich, seine Stimme ruhig, fast bewundernd.
Er ließ sich neben ihr nieder, auf einem der Baumstämme, die wie zufällig im Kreis lagen, als hätte die Natur selbst hier eine Lichtung für Gespräche geschaffen. Einen Moment lang schwieg er, unsicher, was er sagen sollte. Stattdessen schenkte er ihr ein kurzes, dankbares Lächeln, nicht gekünstelt, sondern still und ehrlich. Dann ließ er den Blick ins Leere gleiten, wo das Licht zwischen den Blättern tanzte.
Ein Gedanke kam ihm, plötzlich und aufrichtig.
„Danke, dass du mich geheilt hast“, sagte er leise. „Meine Fähigkeit heilt mich auch - irgendwie, aber dein Wasser ... es fühlt sich so viel besser an. Und es wirkt schneller.“
Maila zuckte mit den Schultern, als wäre das nichts Besonderes. „Ach, es ist nicht der Rede wert“, murmelte sie. „Es wird wohl für eine Weile meine Aufgabe sein, dich wieder zusammenzuflicken, wenn du es wieder übertreibst.“
Sie lächelte und sah dann zu Boden, wo ein Blatt auf ihre Stiefel gefallen war. Ihre Finger spielten nachdenklich mit einem Grashalm.
„Wenn wir kämpfen müssen ...“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, „... kann ich euch wirklich gut helfen. Ich bin nicht die Schnellste und auch nicht besonders stark. Aber ich kann helfen, wenigstens das.“
Nathaniel sah sie an. Er hätte ihr so viel mehr sagen wollen, wie sehr er ihre Nähe schätzte, wie sehr sie ihm Kraft gab, ohne dass er es wusste. Aber er schwieg. Manchmal war das Schweigen in einem warmen Moment wichtiger als jedes Wort.
Am Horizont erkannten sie die Silhouette von Jonah, der mit schnellen, zielgerichteten Schritten aus dem Haupthaus trat und direkt auf sie zusteuerte.
„Nathaniel“, begann er ohne Umschweife und mit fester Stimme, „wir haben einen Auftrag für dich.“
Nathaniel richtete sich auf. Irgendetwas in Jonahs Tonfall ließ ihn ahnen, dass dies kein Routineeinsatz werden würde. „Okay“, antwortete er, den Blick fest auf Jonah gerichtet. „Worum geht es?“
Jonah grinste, dieses seltene, leicht herausfordernde Grinsen, das stets ein bisschen Nervenkitzel versprach. „Außendienst“, sagte er und verschränkte die Arme. „Du hast genug geübt. Es wird Zeit, dass du dich draußen beweist.“
Nathaniel atmete tief durch. In Gedanken ließ er die letzten Wochen Revue passieren, die endlosen Einheiten in der Trainingshalle, das drillmäßige Wiederholen von Bewegungsabläufen, die Strategiebesprechungen, die Tests unter Druck. Alles hatte ihn auf diesen Augenblick vorbereitet.
„Ist Maila dabei?“, fragte er, ohne lange zu überlegen.
Jonah hielt kurz inne, dann drehte er sich halb um. Maila stand ein Stück entfernt, die Arme locker verschränkt, die Stirn gerunzelt. „Willst du mitkommen?“, fragte Jonah sie direkt.
Maila zögerte, ihr Blick schweifte in die Ferne, dann nickte sie. „Ja“, sagte sie. „Solange ich nicht gleich in einen Kampf geschickt werde.“
"Keine Sorge", nickte Jonah zustimmend. „Keine Sorge, es ist vorerst nur eine Aufklärungsmission.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging voraus in Richtung des nahe gelegenen Graveships. Nathaniel und Maila folgten ihm.
„Moment, können wir kurz warten?“, sagte er, ohne den Blick von einer jungen Frau zu wenden, die ein Stück entfernt auf einer niedrigen Mauer saß. Jonah folgte seinem Blick und erkannte sie sofort wieder. Er hatte sie in Atlanta aus einer brenzligen Situation gerettet und nach Alasteria gebracht. Dort hatte sie mehrere Tage unter ärztlicher Beobachtung gestanden, nachdem sie mit einer unbekannten Substanz in Kontakt gekommen war, deren Nachwirkungen nicht zu unterschätzen waren.
Nathaniel hatte sich die Zeit genommen, ihre Akte aufmerksam zu lesen. Yasmin Haddad, Anfang zwanzig, etwa einen Meter siebzig groß, wirkte auf den ersten Blick eher unscheinbar, doch bei näherem Hinsehen offenbarte sich eine stille Schönheit in ihren feinen Gesichtszügen. Ihre dunklen Augen schienen tief zu sein. Langsam trat Nathaniel auf sie zu, während er noch einmal prüfend zu Jonah und Maila zurückblickte, die ihm schweigend zunickten und warteten. Als er vor Yasmin stand, lächelte er freundlich, aber seine Stimme war sanft und ernst zugleich.
„Hey. Alles in Ordnung?“, fragte er leise.
Yasmin blickte auf, als wäre sie aus einem fernen Gedanken gerissen worden. Ihr Gesicht zeigte für einen Moment Verwirrung, dann vorsichtige Neugier.
„Ich heiße Nathaniel“, stellte er sich vor und fügte nach kurzem Zögern hinzu. „Aber du kannst ruhig Nate zu mir sagen. Darf ich mich kurz zu dir setzen?“
Sie nickte stumm und Nathaniel ließ sich neben ihr nieder, hielt aber respektvoll Abstand.
„Wenn du Lust hast“, begann er mit leicht aufmunternder Stimme, „kannst du nachher mit Maila und mir an den Strand kommen. Manchmal machen wir ein kleines Lagerfeuer, erzählen Geschichten, hören Musik. Einfach mal abschalten und den Alltag für ein paar Stunden vergessen. Hier in Alasteria ist es nicht immer leicht, sich wohl zu fühlen, vor allem am Anfang. Aber es hilft, Zeit mit Menschen zu verbringen, die einen verstehen.“
Yasmin sah ihn nur kurz an, als würde sie innerlich mit sich ringen. Schließlich nickte sie zaghaft.
„Ja. Danke“, brachte sie hervor. Ihre Stimme klang leise, fast brüchig. Sie schluckte, als wolle sie etwas Unausgesprochenes unterdrücken. „Es tut mir leid ... ich weiß einfach noch nicht, was ich sagen soll.“
Nathaniel lächelte sie verständnisvoll an, stand dann auf und legte ihr leicht eine Hand auf die Schulter.
„Ist schon gut“, sagte er. „Das wird schon wieder. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.“
Dann drehte er sich um und kehrte zu Jonah und Maila zurück, die geduldig auf ihn gewartet hatten.
Die Graveship, ein silberner, schlanker Koloss mit fließenden Linien und einer schwebenden Präsenz, wartete mit laufenden Triebwerken am Rand des Startplatzes. Jonah stieg ein und half Maila und Nathaniel beim Einsteigen. Im Inneren war es still, nur das leise Summen der Triebwerke war zu hören. Jonah nickte dem Piloten zu. Sekunden später erhob sich das Schiff geschmeidig in die Lüfte und der Boden unter ihnen verschwand. Es war ein ruhiger, fast lautloser Flug. Durch die schmalen Fenster sahen sie die Landschaft unter sich vorbeiziehen: metallene Türme, weite Solarplateaus, vereinzelte Skidcars auf glitzernden Stromleitungen.
Jonah nutzte die Zeit, um sie einzuweisen. „Vor ein paar Wochen“, begann er, „haben Sinan und seine Schwester Adaja Allaoui zusammen mit ihrem Kollegen Sayf Al Amal bei Pretorius Tech einen bisher unbekannten Kristall untersucht. Das Artefakt war... anders. Es hat beim Kontakt mit Sinan eine ungeheure Menge an Energie freigesetzt - Energie, die ihn irgendwie verändert hat.“
Nathaniel runzelte die Stirn. „Verändert? Wie genau?“
„Das wussten sie nicht“, fuhr Jonah fort. „Adaja und Sayf haben ihn stabilisiert - zumindest dachten sie das. Aber vor genau zweiunddreißig Minuten ist etwas passiert. Wochen nach dem Vorfall. Plötzlich, ohne Vorwarnung.“
„Was ist passiert?“, fragte Maila leise.
„Sie haben jemanden kontaktiert. Jemanden, dem sie vertrauten. Der wiederum hat Ward informiert, und der hat uns geschickt.“ Jonah sah sie beide eindringlich an. „Wir wissen nicht, ob es ein Unfall war, ein Rückfall ... oder etwas viel Größeres. Aber eines ist sicher: Wir müssen schnell handeln.“
Die drei sahen sich kurz an.
Sie blickten hinaus auf ein riesiges Schlachtfeld, das sich über die endlosen Dünen der Wüste hoch über Mahan erstreckte. Ein riesiger Riss hatte sich in der sandigen Oberfläche aufgetan, ein tiefer Spalt, der wie der aufgerissene Schlund der Erde wirkte. In seinem Inneren wurde die gigantische Höhle sichtbar, in der sich die unterirdische Stadt Mahan verbarg, ein leuchtendes Netz aus Gängen, Türmen und Kuppeln, das nun schutzlos unter dem offenen Himmel lag. Inmitten dieser apokalyptischen Szenerie stand ein einzelner Mann aufrecht in der sengenden Hitze der Wüste, den Blick unbeirrt nach vorn gerichtet. Um ihn herum heulte der Sandsturm wie ein wütendes Tier, ließ die Sicht verschwimmen und peitschte durch die Luft. In unmittelbarer Nähe hatte sich eine Gruppe von Kriegern, die Sandborns, postiert. Sie gehörten zur Eliteeinheit der Afraner, berüchtigt für ihre unerschütterliche Disziplin, ihre taktische Präzision und ihre ebenso traditionellen wie tödlichen Ritualspeere. Ihre Körper waren in glänzende Rüstungen gehüllt, jede Bewegung schien Teil eines einstudierten Tanzes zu sein. In der Ferne tauchten am Horizont mehrere Graveships auf, die mit tiefem Grollen über den Himmel zogen. Es waren Einheiten der Globe Preservation, und sie kamen in Wellen, wie Vorboten einer neuen Ordnung. Ihre Rampen senkten sich, und aus dem Bauch der Schiffe strömten schwer gepanzerte Soldaten mit modernsten Waffen. Sie bewegten sich taktisch geschickt, formierten sich zu Gruppen und nahmen Positionen auf dem flachen Sand ein, als bereiteten sie sich auf einen massiven Angriff vor. Nathaniel beobachtete das Geschehen mit angespanntem Blick. Ohne zu zögern aktivierte er seinen Anzug. Surrend schlossen sich die Metallteile um seinen Körper. Von nun an war er nicht mehr Nathaniel Reed, sondern Atlon, der Wächter, der untertauchte, um zwischen den Fraktionen der Einheimischen und den Interessen der Globe Preservation zu vermitteln. Oder zu kämpfen, wenn es nicht anders ging.
An seiner Seite bewegte sich Jonah, dessen ruhige Präsenz Nathaniel half, sich zu fokussieren. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch den immer unruhiger werdenden Sand zur versteckten Forschungsstation, wo Adaja bereits auf sie wartete.
Kaum hatten sie die erste Schicht der Einrichtung erreicht, hob Jonah seine Stimme. „Was haben wir denn hier?“, fragte er mit leicht amüsiertem Unterton. Bei jemand anderem hätte die Frage wie eine drohende Warnung geklungen, scharf, fordernd. Doch aus Jonas' Mund klang sie wie eine freundliche Begrüßung. Er war eben ein Mensch, der selbst inmitten einer sich anbahnenden Katastrophe die Wärme in seiner Stimme nicht verlor. "Mein Bruder ist nicht mehr der, der er einmal war.
Tief in seinem Innern hat sich etwas verändert. Er beherrscht jetzt Stein, Erde und Sand, als wären sie ein Teil seines eigenen Körpers. Doch mit dieser Macht kam auch eine Wildheit, eine Wut, die ihn zu verschlingen droht."
Vor unseren Augen wirbelten Sandkörner in chaotischen Spiralen durch die Luft, als gehorchten sie seinem Atem. Sie peitschten in alle Richtungen, schleuderten kleine Steine gegen Felsen und ließen den Boden unter unseren Füßen erzittern. Jonah trat einen Schritt zurück und warf Atlon einen besorgten Blick zu.
Atlon erwiderte den Blick nur mit einem entschlossenen Nicken, dann setzte er sich in Bewegung, langsam, schwerfällig, mit jedem Schritt tiefer in den tosenden Sandsturm hinein. Der Wind zerrte an seinem Mantel, doch er ließ sich nicht aufhalten. Er näherte sich Sinan, der inmitten des Sturms wie eine Statue aus purer Energie wirkte.
„Kannst du mich hören? Ich will dir helfen!“, rief Atlon gegen die tobende Naturgewalt an.
Doch Sinan antwortete nicht mit Worten. Ein markerschütternder Schrei entfuhr ihm, ein Schrei voller Schmerz, Wut und Kontrollverlust. Die Luft vibrierte, der Sturm wurde plötzlich heftiger und Atlon wurde wie eine Spielzeugfigur hunderte Meter durch die Luft geschleudert. Während er durch die dichte, sandige Luft flog, aktivierte er instinktiv seine inneren Kräfte. Licht schoss aus seinen Händen und Füßen, zuckte wie Blitze, kontrolliert wie ein Teil von ihm. Die Lichtblitze bremsten seinen Fall, reduzierten die Geschwindigkeit gerade so weit, dass er auf beiden Füßen weich landen konnte. Ohne zu zögern stürmte Atlon wieder los, konzentrierte die Energie in seinen Füßen, wurde schneller, leichter, stärker. Der Sand gab seinen Schritten nach, als spürte selbst der Boden seinen Willen.
Plötzlich fiel ein dunkler Schatten auf ihn. Hoch oben, durch die flirrende Luft, zeichnete sich die Silhouette eines fliegenden Objekts ab. Vielleicht ein Flugzeug. Vielleicht ein Flugzeug. Es war unmöglich, etwas Genaues zu erkennen.
Doch bevor Atlon reagieren konnte, stürzte wenige Meter von ihm entfernt ein riesiger Körper zu Boden, begleitet von einem dumpfen Aufprall, der die Erde erzittern ließ.
Ein Mann stand da, massig, in einen Panzer aus Metall gehüllt, wie eine lebende Kriegsmaschine. Er wandte den Kopf und blickte Atlon durch das matte Visier seines Helms direkt an.
„Sind wir ein Team?“, fragte er mit einer Stimme, die wie ein schweres Messer durch den Sturm schnitt.
Atlon, überrascht, aber nicht eingeschüchtert, lächelte, obwohl es niemand sehen konnte.
„Ja, ich glaube schon. Mein Name ist Atlon.“
Der Gerüstete nickte kaum merklich. „Nitechore.“
Nitechore kämpfte sich durch den beißenden Sandsturm, den Sinan entfacht hatte. Der Sand peitschte ihm ins Gesicht, kratzte an seiner Haut, jeder Schritt wurde zur Qual. Seine Bewegungen waren schwerfällig, als würde er durch zähen Schlamm waten. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, Sinan irgendwo in dem tobenden Chaos zu erkennen.
Atlon sah, dass Nitechore kaum noch vorwärts kam. Ohne zu zögern streckte er die Hand aus, packte seinen Verbündeten am Rückenpanzer und konzentrierte sich. Ein gleißender Lichtblitz schoss aus seinem Körper, hüllte sie beide ein und schleuderte sie mit erhöhter Geschwindigkeit durch die stürmische Luft. Sie bahnten sich ihren Weg durch die tosenden Sandwände direkt auf Sinan zu.
„Scheiße!“, brüllte Nitechore, kaum dass sie in Reichweite waren, und ließ seinen gepanzerten Arm nach vorne schnellen. Die Wucht seines Schlages schleuderte Sinan mehrere Meter durch die Luft, Sandfontänen sprühten auf.
Atlon riss entsetzt die Augen auf. „Willst du ihm wehtun?“, schrie er gegen den Wind an.
„Nein, natürlich nicht!“, antwortete Nitechore keuchend, in seiner Stimme schwang Sorge mit. „Er ist mein Freund!“ Ohne zu zögern, stürmte er erneut los, sein Körper zitterte, jeder Schritt eine Mischung aus Entschlossenheit und Schmerz.
Wieder traf er Sinan, Schlag auf Schlag, voller Verzweiflung und Hoffnung zugleich. Doch Sinan, der völlig in seinen Kräften gefangen war, reagierte nicht wie erwartet. Seine Augen glühten vor Wut, sein Körper vibrierte vor aufgestauter Energie. Mit einem animalischen Schrei ließ er die Erde unter sich erzittern und explodierte förmlich vor Wut. Gesteinsbrocken schossen aus dem Boden und wirbelten chaotisch um ihn herum, als wäre er das Zentrum eines tosenden Mahlstroms.
Nitechore wurde zurückgeschleudert, landete hart auf dem Boden und rollte zur Seite. Atlon versuchte, sich durch den immer heftiger werdenden Sturm zu kämpfen, doch selbst seine Lichtkräfte reichten kaum aus. Der Sand klebte an ihm, der Druck der Energie in der Luft war fast erstickend.
Dann geschah etwas Unerwartetes.
Ein lauter Donnerschlag ertönte, gefolgt von einem kühlen Lufthauch. Plötzlich regnete es vom Himmel. Dicke, schwere Tropfen, die den Sand aufweichten und die Luft reinigten. Der Sturm verlor schlagartig an Kraft. Der Sand rieselte nur noch wie Nebel zu Boden. Dort, wo Sinan gestanden hatte, wurde der Boden weich, fast schlammig, und er begann einzusinken. Atlon wirbelte herum. In der Ferne näherte sich eine schlanke Gestalt, deren Umrisse im aufkommenden Licht schimmerten. Es war Maila in ihrem Alter Ego als Tidal, die Hände erhoben, das Wasser folgte ihr wie eine schützende Aura. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie langsam auf Atlon zuging. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, vom Schluchzen erstickt.
„Ich ... hatte Angst um dich.“
Atlon machte einen Schritt auf sie zu, berührt von der Tiefe ihrer Gefühle, doch er sagte nichts. Er brauchte keine Worte. Nitechore nutzte den Moment der Stille. Er sprintete los, den Blick fest auf Sinan gerichtet. Mit zitternden Händen zog er eine kleine Spritze aus einem Fach an seinem Gürtel, eine letzte Maßnahme, ein Notfallplan. Gerade noch rechtzeitig erreicht er Sinan, bevor dieser ganz im Boden versinkt, und rammt ihm die Spritze in den Arm. Die Wirkung setzt sofort ein. Sinan stöhnte auf, seine Augen weiteten sich, dann sanken seine Lider herab. Die Kräfte um ihn herum waren verschwunden. Er war ruhig. Fast friedlich.
Nitechore fing ihn auf, nahm ihn behutsam in die Arme wie ein verletztes Kind und trug ihn zu den anderen zurück.
„Danke, Wasserfrau“, sagte er ernst, den Blick auf Tidal gerichtet.
Sie wischte sich die nassen Wangen ab. „Mein Name ist Tidal...“, antwortete sie zögernd, fast schüchtern.
Nitechore lächelte schwach. „Das gefällt mir auch.“
Gemeinsam gingen sie zu Adaja, die bereits an einem Globe Preservation Graveship wartete. Wortlos öffnete sie die Luke, half Nitechore, Sinan zu verstauen, und stieg ein. Die Triebwerke zündeten, das silberne Luftschiff hob surrend vom Boden ab und verschwand langsam in der klaren Luft.
Atlon drehte sich zu Tidal um. Wortlos tauschten sie einen Blick aus, eine stumme Übereinkunft. Sie stiegen in ihr eigenes Grab.
Kurz darauf kam Jonah mit entschlossenem Blick, Sayf an seiner Seite. In seinen Händen hielt er den Kristall, der in einer Glasvitrine verstaut war, der Ursprung des ganzen Chaos. Schwach pulsierte der Kristall, als würde er atmen. Ohne zu zögern bestieg auch Jonah sein Schiff, Sayf folgte ihm, und mit einem donnernden Geräusch hob das dritte Graveship ab.
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