Kapitel 44 - Familie Watergilb

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„Da ist es wieder“, sagte Evelyn plötzlich und zeigte auf einen Bildschirm, auf dem ein Dokument erschien. „Noch eine Lieferung von SeTech. Die Route führt über mehrere unauffällige Zwischenlager, aber hier ...“ Sie zoomte einen Punkt auf der Karte heran. „... hier stimmt etwas nicht. Diese Lagerhalle gehört SeTech und wurde als Zwischenlager benutzt.“ Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes hellbraunes Haar. „SeTech ist eine Tochterfirma von Pretorius Tech. Normalerweise führen sie Spezialaufträge aus, aber das ... das ist etwas anderes. Dass sie mit Giftlogistik zu tun haben, kann kein Missverständnis sein. Jetzt haben wir die Dokumente, die das beweisen.“ Evelyn nickte und überflog die Dokumente auf dem Monitor. „Ich habe etwas tiefer gegraben und herausgefunden, dass SeTech nicht nur die Logistik übernimmt, sondern auch Zugang zu Forschungseinrichtungen hat, die mit Chemikalien arbeiten. Sieht aus, als hätten sie Prototypen für Waffenentwicklungen getestet.“ Samuel presste die Lippen aufeinander. „Wenn das stimmt, missbraucht jemand meine Firma und meine Ressourcen.“ Er starrte auf die Daten vor sich, die immer beunruhigender wurden. „Wir müssen herausfinden, wer dahinter steckt, Evelyn.“ Evelyn beugte sich vor und öffnete ein weiteres Fenster auf dem Bildschirm. „Hier, Samuel ... gibt es eine Transaktion, die über eine Briefkastenfirma in Novoslavia abgewickelt wurde. Der Zeitpunkt passt perfekt zu einer Lieferung an SeTech. Aber das Geld kam ursprünglich von einer Privatperson namens V.“ 

"V? Schon wieder?!" Evelyn lachte.

„Vanitas. Immer wieder Vanitas. Wir müssen die Operation stoppen und herausfinden, wie tief sie in meine Firma eingedrungen sind“, antwortete Samuel, stand auf und ging auf und ab. „Ich werde die Informationen selbst überprüfen und dann als Nitechore tun, was nötig ist. Er wird viel zu tun haben. Ich rechne mit dem Schlimmsten.“ Evelyn nickte und begann, die nötigen Daten auf ihre tragbaren Geräte zu laden. „Ich werde dich unterstützen und weitere Nachforschungen anstellen. Aber sei vorsichtig, Samuel.“

„Das weiß ich“, antwortete Samuel, aktivierte seine Ausrüstung und die Maske, die sein Gesicht verdeckte, verwandelte ihn in Nitechore. „Aber ich werde alles tun, um die Unschuldigen zu schützen. Zuerst werde ich eine alternative Firma gründen. Such mir gute Wissenschaftler in der Vereinigten Republik. Ich glaube, das ist der beste Weg...“ Plötzlich wurden sie von einem schrillen Alarm unterbrochen. Ein rotes Licht blinkte auf einem der Bildschirme auf, und Evelyn drehte sich sofort zu dem Monitor um, um die Quelle der Störung zu identifizieren. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Schlagzeile las, die in Echtzeit über die Nachrichtenkanäle flimmerte: „Saint Veronicas Bürgermeister Alfred Watergilb bei Attentat im Rathaus tödlich verletzt“.

„Samuel ...“, begann Evelyn, aber er hatte die Nachricht bereits erfasst. Unauffällig kniff er die Augen zu. „Sie wissen, dass er tot ist“, murmelte Samuel und eilte zu Evelyn. „Ich muss sofort zu den Watergilbs. Wenn sie hinter Alfred her waren, sind Ava und Maila die nächsten Ziele.“ Evelyn, die bereits am Computer arbeitete, um weitere Informationen zu sammeln, nickte. „Ich werde versuchen, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, und alles, was ich finde, direkt an dich schicken. Soll ich die Polizei verständigen?“ Nitechore schüttelte verneinend den Kopf. "Wer weiß, wen die gekauft haben."

Die Head-up-Displays aktivierten sich und zeigten ihm Energielevel, Vitaldaten und die Umgebung an. Ohne zu zögern rannte er aus dem Büro direkt in die Garage, wo sein Skidcar auf ihn wartete. Als er die Tür öffnete und auf den Fahrersitz sprang, erwachte der Motor mit einem tiefen, kraftvollen Brummen zum Leben. Das Lenkrad fühlte sich wie eine natürliche Verlängerung seines Körpers an, als er den Wagen in Bewegung setzte.

„Los, Lady, zeig mir, was du kannst“, murmelte Nitechore, während er das Lenkrad fest umklammerte und das Fahrzeug aus der Garage schoss. Der Wagen beschleunigte mit atemberaubender Geschwindigkeit, die Lichter der Stadt verschwammen zu einem neonfarbenen Flimmern, als er durch die nächtlichen Straßen von Saint Veronika raste. Über seine Kommunikationskanäle rief er Evelyn an. „Ich brauche sofort die Adresse der Watergilbs.“

„Schon auf deinem Bildschirm“, antwortete Evelyn, und die Zielkoordinaten erschienen auf seinem Head-up-Display.

Nitechore bog scharf in eine Seitenstraße ein, die ihn direkt in das Wohnviertel der Watergilbs führte. Die Straßen waren menschenleer, doch Nitechore spürte die lauernde Gefahr.

„Ich bin fast da“, sagte er und fixierte die Zielkoordinaten. Die Lichter des Hauses der Watergilbs kamen in Sicht, und Nitechore bereitete sich darauf vor, jede Sekunde in Aktion zu treten. „Halt dich bereit, Evelyn. Wenn sie da sind, muss ich alles tun, um sie zu beschützen.“ Als Nitechore das Haus der Watergilbs erreichte, war die Szenerie vor ihm bereits im Chaos versunken. Blaulichter flackerten durch die Dunkelheit, Polizeiwagen standen quer über die Straße verteilt, uniformierte Beamte versuchten verzweifelt, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Schreie und Rufe hallten durch die Luft, während Anwohner aus sicherer Entfernung beobachteten, wie sich die Situation dramatisch zuspitzte. Samuel hatte den Wagen nur wenige Meter vom Haus entfernt in einer dunklen Gasse geparkt und war unbemerkt aus dem Auto geklettert. In seinem Nitechore-Anzug bewegte er sich schnell und leise durch die Schatten.

Als er um eine Hausecke bog, spürte er plötzlich eine Bewegung auf sich zukommen. Bevor er reagieren konnte, stürmten zwei Gestalten auf ihn zu. Instinktiv griff er nach ihnen, bereit, sich zu verteidigen, doch als er in die Gesichter der beiden Jugendlichen sah, ließ er sofort los. Es war Maila, Alfreds älteste Tochter, und neben ihr stand der Typ, der sie zu seiner Party begleitet hatte.

„Maila! Was ist passiert? Wo ist Ava?“

Maila war atemlos, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. „Sie ... sie haben Ava! Diese Männer haben sie gepackt und in einen Skid Truck gezerrt. Wir konnten nichts tun!“ Ihre Stimme brach, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Nott, ebenfalls außer Atem und mit Schürfwunden im Gesicht, nickte hastig. „Wir haben versucht, sie aufzuhalten, aber es waren zu viele. Ich konnte Maila gerade noch wegbringen, bevor sie uns auch erwischt haben.“

„Kommt, ihr beiden, wir müssen hier weg“, sagte er entschlossen, legte Maila eine Hand auf die Schulter und wollte sie zum Auto führen. „Hier seid ihr nicht sicher, ich bringe euch an einen Ort, wo ihr geschützt seid.“

"Wir kennen sie nicht", sagte Maila laut. Sie hatte recht, sie kannte Nitechore nicht. Samuel wusste das und griff ihr seitlich an den Kopf, so dass sich die Maske öffnete und sein Gesicht zeigte. "Ich will dir helfen!"

"Sam ..." Nitechore blickte zu dem Kerl neben Maila. "Wer ist das?" Maila wandte sich an ihren Begleiter: "Nott, der Sohn unseres Sicherheitschefs und ein guter Freund. Der große dunkelhäutige Mann nickte Samuel zu. Plötzlich tauchte ein Trupp auf der Straße auf. "Ich kümmere mich um sie", sagte Nott und sah Maila an. Sie sah gequält aus. "Wirklich?" Nott sah Samuel an. "Bitte rette sie!" Samuel nickte und zog Maila hinter sich her. Samuel blickte sich um und sah, wie Nott eine Pistole zog und mit sichtlichem Geschick einen Gegner nach dem anderen niederstreckte.

Er führte sie zu dem getarnten Wagen, der in der dunklen Gasse auf sie wartete. Die Türen öffneten sich, als Nitechore sich näherte. Maila stieg ein. „Was ist mit Ava?“, fragte Maila, ihre Stimme zitterte vor Angst und Verzweiflung, als sie sich auf den Rücksitz sinken ließ.

„Ich werde sie finden, Maila“, antwortete Samuel mit fester Stimme, setzte sich ans Steuer und startete den Motor. „Ich werde alles tun, um sie zurückzubringen. Aber zuerst müssen wir euch beide an einen sicheren Ort bringen.“

Er beschleunigte den Wagen, der geräuschlos durch die Straßen glitt, weit weg vom Trubel um das Watergilb-Anwesen. Die Stadt zog in der Nacht an ihnen vorbei. Maila saß wimmernd auf dem Rücksitz. 

„Wir sind fast da“, sagte er schließlich, als sie sich dem sicheren Versteck näherten, das er für solche Situationen vorbereitet hatte. „Sobald du in Sicherheit bist, werde ich Ava suchen. Und ich verspreche euch, dass ich sie zurückbringen werde.“

Maila sah ihn mit tränenfeuchten Augen an. „Bitte, Samuel ... bitte rette sie.“

Als der Wagen sanft zum Stehen kam, warf Samuel einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Maila und Nott saßen schweigend und erschöpft auf dem Rücksitz, die Ereignisse des Abends hatten sichtbare Spuren hinterlassen. "Steigen wir aus!"

Im Inneren des Gebäudes wartete Evelyn bereits auf sie. „Evelyn, das ist Maila Watergilb“, sagte Samuel, als er seine Maske deaktiviert hatte und sich zu den beiden gesellte. „Sie bleibt hier, bis wir sicher sind, dass sie außer Gefahr ist." Evelyn nickte, ihre Augen musterten das Mädchen kurz, bevor sie sich ihr zuwandte. „Herzlich willkommen. Wir haben einen Raum vorbereitet, in dem du dich ausruhen kannst. Es war ein langer und anstrengender Tag für dich und du solltest versuchen, etwas Schlaf zu bekommen." Maila wirkte erleichtert, als Evelyn sie in das Gebäude führte. „Wenn du etwas brauchst, kannst du mich jederzeit anrufen“, sagte Evelyn mit einem kleinen Lächeln. „Das Wichtigste ist, dass du dich sicher fühlst. Um alles andere kümmern wir uns.“

Maila nickte dankbar, ihre Augen wirkten müde, aber zumindest etwas ruhiger. „Danke, Evelyn. Und danke, Samuel ... Ich weiß nicht, was ich ohne euch gemacht hätte.“

„Ruh dich aus, Maila“, sagte Samuel leise. „Wir kümmern uns darum.“ Maila ließ sich auf den Boden sinken.



Leise schloss Evelyn die Türen der beiden Räume hinter sich und kehrte zu Samuel zurück. Ihre Miene war ernst, aber entschlossen. „Was ist der nächste Schritt?“

„Ich werde zurückgehen und herausfinden, wohin man Ava gebracht hat, und du wartest hier. Ich werde mich unterwegs mit Globe Preservation in Verbindung setzen“, antwortete Samuel mit fester Stimme. „Aber zuerst muss ich dafür sorgen, dass hier alles unter Kontrolle ist.“

„Keine Sorge“, erwiderte Evelyn, ihre Augen ruhig und konzentriert. „Ich werde hier alles im Auge behalten. Du konzentrierst dich darauf, Ava zu finden.“ Samuel nickte und machte sich auf den Weg.

"Ward", sagte die Stimme aus den Lautsprechern in Samuels Helm. "Hier ist Samuel Palmer. Ich brauche Ihre Hilfe."

"Worum geht es?", fragte Ward am anderen Ende.

"Ich habe Maila Watergilb an einen sicheren Ort gebracht. Ihr Vater sagt, sie sei eine Deviant. Ich versuche jetzt, ihre Schwester Ava zu finden und fahre zu ihrem Haus zurück. Könnt ihr jemanden schicken, um Maila aus Saint Veronika zu bringen? Eine sehr gut ausgebildete Truppe hat sie nach dem Mord an ihrem Vater angegriffen und versucht sie zu entführen".

"Komplizierte Situation, aber ja, ich mache es. Ich melde mich, wenn wir fast da sind."


Das Anwesen der Watergilbs lag vor ihm, mitten in der Nacht, in Schatten und Stille gehüllt. Nitechore stand am Rand der breiten Auffahrt, die zu dem imposanten Anwesen führte, dessen Silhouette sich gegen den klaren Himmel abzeichnete. Sein Helm summte leise, als er die Scanner aktivierte. Blaue und grüne Linien huschten über die Oberfläche seines Visiers, kartographierten die Umgebung, analysierten Wärmequellen und identifizierten mögliche Gefahren. Das Haus ist zu ruhig ... kein Wächter, keine Bewegung. Ungewöhnlich für eine Villa dieser Größe. Mit einer fließenden Bewegung aktivierte er den Enterhaken an seinem Unterarm. Das Drahtseil schoss heraus und verankerte sich fest an einem der Balkone im zweiten Stock. Mit einem leisen Zischen zog ihn der Haken nach oben, und Nitechore landete lautlos auf dem Marmorboden des Balkons. Die Nachtluft war kühl, ein leichter Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln.

Er kniete sich hin und aktivierte das Scansystem seines Helms, um den Raum nach Wärmesignaturen abzuscannen. Das System nahm auch eine Videodatei auf, die er sofort an Tavin in der Basis schickte. Er öffnete die Balkontür und betrat den Raum, in dem sich ein großzügiger Aufenthaltsraum befand, der mit modernster Technik und automatisierten Systemen ausgestattet war. Holografische Bildschirme wechselten zwischen Sicherheitsstatus und digitalen Kunstwerken an den Wänden. Aus versteckten Lautsprechern dröhnte leise Musik, vermutlich um die Leere des Raumes zu füllen. Es schien, als hätte jemand die automatischen Systeme nicht abgeschaltet. Aber die Musik? Eine Ablenkung? Oder eine Möglichkeit, unerkannt zu bleiben?

Aus seinem Rücken lösten sich Drohnen. Ihre Scanner fingen elektromagnetische Felder auf, die von den Überwachungssystemen der Villa ausgingen. Doch dann fiel ihm etwas auf: Das System war nicht eingeschaltet. Eine Drohne näherte sich dem System und setzte sich an die Anlage. Es handelte sich um ein altes System mit Kabelverbindung. Aber viele Einbrecher waren nicht mehr an solche Systeme gewöhnt. Im Handumdrehen konnte sich Nitechore in die Überwachungskameras hacken und sie benutzen. In der Ferne hörte er die mechanischen Geräusche der automatischen Reinigungsroboter, die ihren nächtlichen Dienst verrichteten. Er hielt kurz inne, als sein Helm ein leises Piepen von sich gab. Eine schwache Wärmequelle befand sich tief im Inneren des Hauses.

Er schlich weiter durch den langen Korridor, vorbei am schimmernden Licht der holographischen Kunstwerke. Schließlich stand er vor einer großen, zweiflügeligen Tür aus dunklem Holz. Dahinter befand sich Alfred Watergils Arbeitszimmer, wie ihm die Pläne der Villa verrieten. Er legte die Hand auf die Klinke und drückte sie langsam nach unten. Die Tür öffnete sich widerstandslos und gab den Blick auf ein großzügig ausgestattetes Arbeitszimmer frei. Auch dieser Raum war automatisiert, doch das Licht war gedämpft. An den Wänden hingen gerahmte Fotos und holografische Projektionen von Familienbildern, daneben digitale Diplome und Auszeichnungen. Systematisch suchte er den Raum ab, scannte Regale, Schreibtischschubladen und schließlich den Tresor hinter einem falschen Paneel. Mit einem kurzen Hack seines Synect knackte er die digitale Sperre des Safes und fand darin eine kleine Metallkassette. Er holte seine Drohnen. in diesem Moment! zurück.

Er steckte die Kassette ein, ging zum Fenster und wollte das Haus verlassen.

Gerade als Nitechore sich vom Balkon abseilen wollte, hörte er Schritte im Flur. Er hielt inne und schwang sich mit dem Enterhaken in der Hand auf das Dach über dem Balkon. Er startete die Kameraüberwachung, die er auf dem Display seines Helms sehen konnte, da er noch im System war. Die Tür zum Arbeitszimmer schwang auf, und Sabine West betrat den Raum mit schnellen, entschlossenen Schritten. Ihre Augen wanderten prüfend über die Regale und den aufgeräumten Schreibtisch, während sie ihre Waffe griffbereit in der Hand hielt. „Sebastian, komm her! Schließ dich hier an die Datenports an und sieh nach, was wir übersehen haben könnten.“

Sie trat zur Seite, ohne den Blick von den dunklen Ecken des Raumes abzuwenden. Sebastian Scott, der Techniker, stolperte fast über den Türrahmen und kniete sich neben den Schreibtisch, während er ein kleines, glänzendes Gerät aus der Tasche zog. Mit einem leisen Klicken verband er es mit den Anschlüssen auf dem Tisch und begann, über den Bildschirm zu wischen. Blaue Lichtmuster spiegelten sich in seinen Brillengläsern.

"Die Aufzeichnungen sind teilweise gelöscht, aber ich sehe ... Reste von manipulierten Daten. Jemand wollte nicht, dass wir alles sehen, was hier passiert ist." Er schob seine Brille hoch und blickte nach oben. Nitechore saß regungslos auf dem Dach und beobachtete, wie Amber Silver, die forensische Analystin, den Raum betrat. Fast lautlos ging sie auf das große Gemälde zu, das hinter dem Schreibtisch an der Wand hing. Ihre Finger fuhren über die goldenen Ränder, während ihre Augen jeden Winkel absuchten. Amber Silver murmelte: "Das hier... sieht aus, als hätte jemand etwas hier gelassen. Vielleicht eine Nachricht." Sie drehte sich um, und Nitechore bemerkte, dass sie eine sehr zierliche junge Frau war. "Sebastian, siehst du hier irgendwelche Spuren von Aktivitäten in den letzten Tagen? Die Manipulationen müssen relativ frisch sein. Sebastian nickte knapp, ohne den Blick von seinem Gerät zu nehmen, während er hektisch weiterarbeitete. Seine Stirn glänzte im Licht der holografischen Anzeigen, die sich über ihm in der Luft drehten. "Ja, da ist etwas ... Es sieht so aus, als hätte sich jemand Zugang zu den internen Systemen der Villa verschafft. Aber die Manipulationen sind ... sauber, fast perfekt. Ich brauche mehr Zeit, um das zurückzuverfolgen." Amber kam zu ihm und blickte auf den Bildschirm, ihre Augen verengten sich, während sie die Daten analysierte. Sie beugte sich leicht vor, ihre roten Haare fielen ihr ins Gesicht, doch sie strich sie mit einer schnellen Handbewegung zurück. "Das passt nicht zu einem einfachen Einbruch. Das ist jemand, der sich auskennt, jemand, der genau wusste, wo er suchen musste. Vielleicht ... vielleicht sogar jemand, der Zugang zu ähnlicher Technik hat wie wir." Sabine kniff die Augen zusammen und richtete ihre Taschenlampe direkt auf die dunkle Ecke des Raumes. Der Lichtkegel wanderte über die Wand, tastete die Regale ab. "Corbin, deck den Flur ab. Niemand geht rein oder raus, bis wir hier fertig sind." Sie durchquerte den Raum, ihre Stiefel knirschten leise auf dem Holzboden, als Sabine hinter dem Schreibtisch stand. Ihre Augen funkelten entschlossen. "Ich will nichts übersehen. Das könnte unsere einzige Chance sein, herauszufinden, warum Watergilb sterben musste."

Als Corbin sich draußen im Flur postierte, hörte Nitechore seine Schritte verstummen. Er spürte das Gewicht der Kassette, die er in seiner Tasche versteckt hatte. Er wusste, dass er nur einen Moment der Unaufmerksamkeit nutzen musste, um aus dem Raum zu verschwinden. Aber wenn sie etwas übersehen hatten, wenn es noch eine Spur gab, die er übersehen hatte, dann musste er das Risiko eingehen und noch einen Moment bleiben. Corbins Schritte hallten schwer durch den Flur, bevor er plötzlich in der Küche stehen blieb. Nitechore konnte hören, wie der Polizist tief Luft holte und mit einem ärgerlichen Seufzer die Schranktüren öffnete. Sabine und die anderen warfen ihm nur einen kurzen Blick zu, sie waren zu sehr in ihre Arbeit vertieft. Corbin schnaubte, während er sich am Kühlschrank zu schaffen machte: "Es wird sowieso wieder eine lange Nacht. Da kann es nicht schaden, wenn ich mir eine kleine Stärkung gönne, oder?" Mit einem lauten Klacken öffnete er den Kühlschrank und begann, in den Regalen zu wühlen. Das Geräusch klirrender Flaschen und Gläser drang bis ins Arbeitszimmer. Nitechore schüttelte innerlich den Kopf. Amber, die immer noch die Bücher und Papiere im Arbeitszimmer durchsah, verdrehte die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Ihre Stimme klang ärgerlich, aber sie ließ sich nicht von ihrer Arbeit ablenken. "Corbin, du bist hier, um dafür zu sorgen, dass wir ungestört arbeiten können, und nicht, um den Kühlschrank auszuräumen. Reiß dich zusammen." Sebastian lachte leise und schüttelte den Kopf, während er versuchte, die Kerbe weiter zu untersuchen. "Hey, lass ihn doch, Amber. Wenn er Hunger hat, macht er uns wenigstens keinen Ärger. Wäre ja noch schlimmer, wenn er uns hier die ganze Zeit auf die Nerven geht." Sabine, die so nah bei Nitechore auf dem Balkon stand und hineinschaute, warf einen scharfen Blick in Corbins Richtung. In ihrer Stimme schwang Ungeduld mit. "Corbin, mach deine Arbeit. Wir sind nicht zum Vergnügen hier. Und lass den Kühlschrank in Ruhe, bevor du Spuren hinterlässt, die wir erklären müssen."

Doch Corbin zuckte nur mit den Schultern, nahm eine Dose Titanfizz aus dem Kühlschrank und knallte die Tür wieder zu. Mit einem lauten Zischen öffnete er die Dose und trank einen großen Schluck, während er auf dem Weg zurück in den Flur einen flüchtigen Blick auf das Arbeitszimmer warf. Corbin murmelte mit der Dose in der Hand: "So, ich bin wieder auf dem Posten. Mann, ist das stickig hier. Ich verstehe wirklich nicht, was an diesem Fall so besonders sein soll..."

Die Polizisten im Raum blieben stehen und drehten sich überrascht um. Sabine runzelte die Stirn, als eine tiefe, autoritäre Stimme durch den Flur hallte.

"West, Scott, Silver, Corbin, packt eure Sachen. Der Fall ist ab sofort nicht mehr unsere Angelegenheit."

Sabine, die die Situation bisher unter Kontrolle gehabt hatte, wirbelte aufgebracht herum. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Überraschung und Wut. "Was soll das heißen, Chef? Wir sind mitten in der Spurensicherung! Sie können uns nicht einfach so abziehen!"

Der Polizeichef, ein hochgewachsener Mann mit grimmiger Miene, betrat das Büro und sah Sabine ungerührt an. Er trug immer noch die schwere Jacke über der Uniform, und der Regen von draußen tropfte auf den Boden. Mit einer schnellen Handbewegung wies er das Team an, die Arbeit zu unterbrechen.

"Das ist keine Verhandlung, Sabine. Der Fall wurde von höherer Stelle übernommen. Die Regierung will sich darum kümmern und wir haben hier nichts mehr zu suchen." Sebastian und Amber tauschten skeptische Blicke aus, während Corbin langsam seine Erfrischungsdose auf die Fensterbank stellte. Nitechore, der sich immer noch im Schatten versteckte, versuchte die Bedeutung dieser neuen Entwicklung zu erfassen. Die Regierung? Warum mischt die sich ein, dachte er. Sabine West ärgerte sich, ihre Stimme wurde lauter: "Das ergibt doch keinen Sinn! Warum sollte sich die Regierung in so einen lokalen Fall einmischen? Wir haben hier Beweise, Indizien, das könnte der Schlüssel sein, um herauszufinden, wer hinter dem Mord und der Entführung steckt!"

Der Polizeichef trat einen Schritt näher und sah ihr fest in die Augen. "Das sind nicht meine Befehle, Sabine. Pack deine Sachen und verschwinde. Das ist ein Befehl von ganz oben. Je schneller wir hier wegkommen, desto besser für uns alle."

Nitechore spürte, wie ihm kalt wurde. Dass die Regierung sich eingemischt hatte, bedeutete, dass hier etwas vertuscht oder verheimlicht werden sollte. Er wusste, dass ihm nur noch wenig Zeit zum Handeln blieb, bevor die neuen Einheiten eintrafen.

Während Sabine mit den Zähnen knirschte, packte das Team langsam seine Ausrüstung zusammen.

Nitechore nutzte die Gunst der Stunde, sprang vom Dach auf den Balkon, ließ sich mit dem Seilsystem abseilen, kletterte über den Zaun. "Hey", hörte er eine Stimme aus der Dunkelheit. Er drehte sich zu der Stimme um und sah Nott, der sich versteckt hatte. Nitechore ging auf ihn zu und sah, wie übel er zugerichtet war. "Brauchst du medizinische Hilfe?" fragte Nitechore. Nott schüttelte den Kopf: "Okay Samuel Palmer. Ich habe herausgefunden, dass Alfred nach einem Treffen mit Scott Hanley ermordet wurde. Ich werde mich mit ihm in Verbindung setzen, in der Hoffnung Ava, ihre Mutter und meinen Vater zu finden. Du kümmerst dich um Maila!" Nitechore lachte kurz auf. "Du bist nett. Sonst kuschen alle vor mir. Ja, ich werde Maila zu Globe Preservation bringen. Denen vertraue ich."

"Okay, gut. Dann haben wir einen Plan und die schlimmstmögliche Situation", antwortete Nott.

"Absolut, und die Gegner waren perfekt ausgebildet, so wie du offensichtlich auch", stellte Nitechore fest.

„Ich war in der Armee“, sagte Nott knapp, seine Stimme ruhig, aber mit einem Unterton, der nicht weiter hinterfragt werden wollte.

„Okay, gut. Wir bleiben in Kontakt“, antwortete Nitechore, warf ihm einen letzten Blick zu und drehte sich dann abrupt um. Er sprintete zu seinem Motorrad, schwang sich mit einer fließenden Bewegung auf den Sitz und betätigte die Zündung. Lautlos erwachte das Gefährt, schwebte leicht über dem Boden und erhob sich dann sanft über die schimmernden Stromleitungen, die sich wie ein Netz durch die nächtliche Stadt zogen.

Ein sanftes, bläuliches Leuchten umgab ihn, als er durch die Dunkelheit glitt, schnell, präzise, wie ein Schatten, der kaum Spuren hinterließ.

Plötzlich summte sein Synect. Eine klare Stimme drang an sein Ohr.

„Hier ist Ward.“

Nitechore wurde leicht langsamer und richtete sich in seinem Sitz auf. „Ich höre."

„Wir sind fast da. Aber da ist jemand im Gebäude bei Evelyn und Maila.“

Ein kurzer Moment der Stille. Dann antwortete Samuel mit einer Mischung aus Anspannung und Ärger: „Eigentlich nur mein Custodian, Tavin. Er sollte bei ihnen sein.“

Wards Stimme blieb ruhig, aber etwas in seinem Tonfall ließ Nitechore aufhorchen. „Nein, Sam. Das sind Menschen. Und ich nehme stark an, dass sie auch Custodians bei sich haben.“

Ein Fluch entfuhr Nitechore. Er runzelte die Stirn. „Verdammt ... ich bin fast da. Gebt mir zwei Minuten.“

„In fünf sind wir bei dir“, kam die knappe Antwort von Ward. 

Nitechore beschleunigte. Die Lichter der Stadt verschwammen zu blauen und violetten Linien, als er dem Unbekannten entgegenraste, der ihn erwartete.

Sein Blick war fest auf die Straßen unter ihm gerichtet, die im fahlen Licht der Straßenlaternen an ihm vorbeizogen, verschwommen wie flüchtige Gedanken.

Mit präzisem Schwung lenkte er das Motorrad in eine dunkle Seitengasse, weit weg vom Lärm der Stadt. Der Motor verstummte, als er es vorsichtig an eine verwitterte Mauer lehnte. Ein unscheinbarer Eingang lag vor ihm, verborgen hinter verfallenen Ziegeln und Schatten. Keine Bewegung, kein Laut, nur das entfernte Summen der Stromleitungen, die unter ihm in die Straße eingelassen waren.

Samuel holte tief Luft und startete seinen Synect. Mit einer kurzen Geste aktivierte er Tavin, seinen Wächter im Inneren des Gebäudes.

„Scanne die Situation“, flüsterte er.

Ein stummes Leuchten bestätigte den Befehl, während der Synect summte und die Umgebung abtastete. Sekunden später flackerte ein holografisches Bild auf, dreidimensional und gestochen scharf.

Maila war in einem spärlich beleuchteten Raum zu sehen, die Schultern angespannt. Zwei bewaffnete Gegner standen neben ihr, einer trat bedrohlich auf sie zu. Samuel spürte, wie sich Wut in seiner Brust sammelte.

Im nächsten Bild: Evelyn. Sie saß in einem separaten Raum, die Hände gefaltet, den Blick gesenkt. Vier Wärter standen um sie herum, zu viele für eine unüberlegte Bewegung.

Samuel kniff die Augen zusammen.

„Tavin ... ich gehe rein“, murmelte er, seine Stimme ruhig, aber mit einem gefährlichen Unterton. „Wenn es losgeht, dann geh.“

Tavin nickte wortlos. Eine stumme Geste, treu, berechnend, bereit.

Samuel trat vor. Der Schatten verschluckte ihn.

Er betrat das Gebäude, und die automatischen Türen glitten lautlos hinter ihm zu. Für einen Moment herrschte eine gespenstische Stille, die nur durch das entfernte Summen der Stromleitungen und das leise Knistern zerbrochener Leuchtplatten an der Decke unterbrochen wurde. Ohne zu zögern steuerte er auf den Gang zu, der zu dem Raum führte, in dem Maila festgehalten wurde.

Sein Herz schlug wie wild, seine Schritte wurden schneller, als er den langen Korridor durchquerte. Plötzlich durchbrachen Schreie die Stille, schrill, panisch und eindeutig weiblich. Ein Adrenalinstoß jagte durch seinen Körper, er sprintete los. Ohne zu zögern trat er die Tür zu Mailas Zimmer ein. Das Holz splitterte unter der Wucht seines Tritts.

Doch was er vorfand, übertraf seine schlimmsten Erwartungen und war doch etwas ganz anderes. Maila stand zitternd in der hintersten Ecke des Zimmers. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick voller Angst und Entschlossenheit. Vor ihr, in einer langsam größer werdenden, dunkelroten Pfütze, lag einer der Männer reglos am Boden. Der Boden war nass.

Der andere stand noch, hatte gerade abgedrückt. Samuel sah, wie die Energiekugel, oder was davon übrig war, Mailas Körper durchschlug. Doch anstatt zu schreien oder zu fallen, veränderte sich ihre Gestalt an der getroffenen Stelle. Die Kugel war nicht eingedrungen, denn da war kein Fleisch mehr, nur noch Wasser. Ihr Körper hatte sich an der Stelle verflüssigt, und als sie sich wieder formierte, war keine Wunde mehr zu sehen.

Der Angreifer stand fassungslos da. Diesen Moment nutzte Samuel. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihm, riss ihn zu Boden und versetzte ihm mehrere harte Schläge, bis er reglos liegen blieb.

Aus dem Treppenhaus drang ein metallisches Krachen, als würde jemand gegen Geländer oder Rohre schlagen. Tavin. Auch er war jetzt in Aktion.

Samuel drehte sich um und ging auf Maila zu. Sie kauerte zitternd in einer Ecke, ihr Atem ging flach und hektisch. Als sie ihn erkannte, begannen ihre Augen zu leuchten.

„Er ...“, begann sie, doch ihre Stimme versagte. „Er wollte mich ... Miss ... brauchen.“ Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie blickte an Samuel vorbei auf den leblosen Körper. „Ich habe ihn umgebracht“, flüsterte sie. „Mit Wasser. Ich ... ich habe es zu einer Klinge geformt.“

Samuel kniete sich hin und nahm sie sanft in die Arme. Sie war kalt wie der tiefste Wintertag, aber sie lebte. „Du hast überlebt, Maila. Das ist alles, was zählt. Wir holen dich hier raus. Die anderen sind schon unterwegs.“

Kaum hatte er den Satz beendet, erschütterte ein lauter Knall das ganze Stockwerk. Staub rieselte von der Decke. Irgendetwas oder irgendjemand hatte das obere Stockwerk erreicht oder wieder verlassen.

Samuel erhob sich langsam und blickte aus dem Fenster hinunter auf die Gasse, sein Blick fiel auf Tavin und den geheimnisvollen Verbündeten an seiner Seite. Ein junger Mann in einer leuchtend orangefarbenen Rüstung, das Gesicht hinter einer schwarzen Maske mit schmalen Sehschlitzen verborgen. Die Atmosphäre war gespannt, elektrisiert.

In diesem Moment öffnete sich lautlos die Tür und Evelyn trat ein. Sofort suchten ihre Augen den Raum ab und fanden Samuel.

„Ich muss runter“, sagte er knapp.

Evelyn nickte nur. Für Fragen war keine Zeit.

Mit fließenden Schritten ging Samuel zum Fenster, stieg auf die breite Fensterbank und sprang. Der Aufprall auf dem Asphalt wurde von seinem Anzug abgefedert, aber der Aufprall ließ seine Beine zittern.

Kaum war er gelandet, bot sich ihm ein chaotisches Bild. Tavin kämpfte mit einem Custodian, hielt ihn mit aller Kraft fest, während der Fremde beide Hände auf das Gesicht des Feindes legte. Seine Handflächen begannen bedrohlich zu glühen - ein intensives Orange, das in den Augen brannte. Wenige Augenblicke später glühte auch der Kopf des Custodian, als stünde er von innen her in Flammen.

Samuel hatte keine Zeit zu begreifen, was geschah.

Ein plötzlicher Impuls ließ ihn den Kopf herumreißen, ein weiterer Custodian stürzte auf ihn zu. Reflexartig riss Samuel den Arm hoch und wehrte den Angriff ab. Metall traf auf verstärkte Faserplatten, Funken sprühten.

Im selben Moment stürzte sich der zweite verbliebene Wächter auf den maskierten Fremden. Tavin warf sich dazwischen, versuchte den Angriff abzufangen.

Samuel nutzte die Gelegenheit. Er konterte mit einem gewaltigen Hieb, den sein Anzug um ein Vielfaches verstärkte. Die Faust krachte gegen die Brustplatte seines Gegners, schleuderte ihn mehrere Meter zurück.

Ohne zu zögern aktivierte Samuel den Hakenwerfer an seinem Handgelenk. Mit einem surrenden Geräusch schoss der Haken hervor, bohrte sich tief in die mechanische Hülle des Custodian. Samuel packte das Seil, zog mit einem Ruck und schleuderte den Gegner in entgegengesetzter Richtung gegen eine Wand. Es krachte metallisch, Teile der Rüstung rissen ab und fielen scheppernd zu Boden.

Samuel setzte nach, sprintete auf den taumelnden Gegner zu, wollte zum finalen Schlag ausholen. Doch der Wächter reagierte schneller als erwartet. Mit einem gezielten Energiestoß traf er Samuel in die Magengegend. Der Anzug absorbierte zwar einen Großteil der Wucht, aber der Schmerz war dennoch stechend und ließ ihm für einen Moment den Atem stocken.

Bevor sich Samuel erholen konnte, packte ihn der Custodian am Hals. Kalte, metallische Finger legten sich um seinen Kehlkopf. Mit erschreckender Kraft hob ihn sein Gegner vom Boden, als wäre er federleicht. Samuel keuchte, trat um sich, doch der Griff blieb unerbittlich.

Sein Blick suchte Tavin. Doch der kämpfte noch, ebenso wie sein maskierter Verbündeter. Samuel wusste: Wenn er sich jetzt nicht befreite, konnte niemand mehr rechtzeitig eingreifen.

Ihm blieb die Luft weg. Seine Lungen brannten, sein Herz hämmerte gegen seine Rippen wie ein eingesperrtes Tier. Verzweifelt tasteten seine Finger nach dem Angreifer, doch immer wieder glitten sie über das kalte Metallgehäuse. Kein Halt. Kein Widerstand. Nur die gnadenlose Kraft des Wächters, der seine Kehle wie ein Schraubstock umklammerte.

Ein heiseres Lachen entrang sich seiner Kehle, oder dem, was davon noch frei war. Ironie pur. Ausgerechnet er, Samuel, der die KI des Custodian geweckt, programmiert, verbessert hatte... und nun wurde er von einer seiner eigenen Schöpfungen getötet. Was für ein bitterer Witz.

Sein Blick trübte sich, Ränder der Dunkelheit fraßen sich in sein Bewusstsein. Doch mitten in diesem lähmenden Moment blitzte etwas auf. Kein Gedanke, eher ein Instinkt. Er zwang sich, wach zu bleiben, zwang die Augen auf und starrte in das gesichtslose Visier des metallenen Riesen. Dann geschah etwas Unerwartetes.

Zwei Punkte begannen in der Dunkelheit zu leuchten. Die Augen des Custodian leuchteten, fremd, fast... zögernd. Für einen Moment schien etwas in ihm zu ringen. Der Griff um seinen Hals lockerte sich. Luft strömte in seine Lungen, schmerzhaft und süß zugleich. Husten schüttelte seinen Körper, als er auf die Knie sank.

Sein Blick hob sich wieder, diesmal langsamer, klarer. Der Custodian stand immer noch vor ihm, regungslos, das Licht in seinen Augen pulsierte leise. Samuel atmete schwer. Noch am Leben. Noch nicht tot.

„Geht es dir gut, Samuel?“ Ward stand mit Sorgenfalten auf der Stirn vor ihm und streckte ihm die Hand entgegen.

Samuel hustete heftig und hielt sich die Rippen, bevor er nickte. „Ja ... es geht mir gut.“

Neben Ward hatten sich bereits Evelyn, Maila Tavin und der unbekannte Helfer versammelt. Letzterer kam nun ebenfalls näher und hob zur Begrüßung die Hand - eine Hand, die im Licht fast grotesk wirkte. Die Fingerspitzen zuckten leicht, weil sie von den Verbrennungen schmerzten. Der Handschuh, der sie normalerweise verbarg, war deaktiviert.

„Hey“, sagte er mit einem schiefen Grinsen. „Ich bin Atlon. Würde dir gerne die Hand schütteln, aber... na ja, meine Fähigkeiten sind noch etwas... suboptimal."

Samuel nickte ihm kurz anerkennend zu. Atlon wirkte jung, aber nicht unsympathisch.

Dann wandte Samuel sich Maila zu. Seine Stimme wurde weicher. „Maila, gehst du mit? Sie wissen, was du kannst ... mit dem Wasser. Und sie werden dich in Sicherheit bringen.“

Maila zögerte einen Moment, dann trat sie vor und umarmte ihn fest. „Pass auf dich auf“, flüsterte sie. „Du auch.“

Nachdem sich ihre Wege getrennt hatten, deutete Samuel Ward mit einem kurzen Blick an, dass er ihn einen Moment allein sprechen wollte. Die beiden Männer traten ein paar Schritte beiseite, weg von den anderen, in den Schatten einer eingestürzten Mauer.

„Ich will nur sagen“, begann Samuel leise. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Die Regierung steckt dahinter.“

Ward erstarrte. Sein Blick senkte sich auf den staubbedeckten Boden, dann hob er langsam den Kopf.

„Ich habe es geahnt“, murmelte er. „Spätestens, als ich die Custodians sah.“

Ein Moment des Schweigens folgte. Schwer, unausgesprochen, voll bedrohlicher Bedeutung.

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