Kapitel 33 - Großartige Arbeit
Während sie die Daten aufnahm, saß sie auf ihrem Schreibtischstuhl und starrte ins Leere. Sebastian kam zu ihr und setzte sich. "Die Fingerabdrücke auf einem der Möbelstücke in der Lagerhalle stimmen mit denen des Verdächtigen überein. Dazu kamen die Videoaufnahmen einer Überwachungsanlage in der Nähe der Halle, die sein Fahrzeug zur Tatzeit in der Gegend aufgenommen hatte. Das genügte, um ihn festzunehmen. Er sitzt im Verhörraum, wir können ihm die erdrückende Beweislast präsentieren", sagt Sebastian. Sabine steht auf. "Das war viel zu einfach. Warum?" Sebastian hob die Schultern und wirkte unsicher. Sabine ging in den Vernehmungsraum. Die Blicke ihrer Kolleginnen und Kollegen folgten ihr. Vor dem Raum wartete Corbin und lächelte breit. Sabine erwiderte sein Lächeln nicht im Geringsten. "Das war viel zu einfach", zischte sie und öffnete die Tür. Der Mann, der da saß, war der Inbegriff von Normalo. Er hätte aus einem der VR Social Games stammen können und wäre der perfekte NPC. Nicht, dass Sabine so etwas spielen würde, aber sie kannte solche Spiele von ihrer Nichte. Apropos, sie sollte mal wieder mit ihrer Schwester Esme und ihrer Nichte Margot sprechen. Sie atmete kurz durch, um ihre Gedanken zu ordnen, und setzte sich vor den Verdächtigen. Er starrte ins Leere. Der Raum war still, die Luft schwer vor Spannung. Der Mann vor ihr war ruhig, fast unbeteiligt, als hätte er mit dem Geschehen nichts zu tun. Seine Mimik verriet nichts, und auf jede ihrer Fragen reagierte er mit einem stummen, ausdruckslosen Blick. Warum war er so unglaublich still? Sabine nahm die Mappe und sah sich die Daten und Notizen an. Kevin Kane. Was für ein Blödsinn, dachte Sabine. Verdammt, was ging in Sabines Kopf vor? Er lebte allein, war arbeitslos, sein Strafregister und seine Krankenakte waren sauber. Seine Eltern lebten in Blackchester, und er war zur Ausbildung nach Saint Veronika gekommen. Sein Leben entsprach seinem Aussehen. Eine Ausbildung zum Buchhalter, die perfekte Mischung. In seinen siebenunddreißig Lebensjahren hatte er so gut wie nichts erlebt. Nachdem er einige Minuten geschwiegen hatte, beschloss Sabine, ihre Taktik zu ändern. Sie griff in ihre Tasche und zog einen einfachen Stift und einen Notizblock heraus. Ohne lange nachzudenken, schob sie beides über den Tisch zu ihm hinüber. "Hier", sagte sie leise, "falls Sie etwas aufschreiben wollen."
Kevin Kane, der Verdächtige, blickte auf Stift und Papier, dann auf Sabine und schließlich wieder auf den Tisch. Es folgte ein langes, zähes Schweigen. Sabine hielt den Atem an und beobachtete jede seiner Bewegungen. Plötzlich griff er nach dem Stift und begann, kleine Kreise auf das Papier zu malen. Die Bewegung war ruhig und methodisch, aber was Sabine sofort auffiel, war, dass er den Stift in der rechten Hand hielt. Ihr Blick verharrte auf den Kreisen, die er ohne Unterbrechung zeichnete, immer wieder die gleiche Form, immer wieder der gleiche, ruhige Rhythmus. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Die Kinderzeichnungen, die sie vorher studiert hatte, waren eindeutig von einem Linkshänder gemalt worden. Hier aber, direkt vor ihr, saß der Mann, der diese Morde begangen haben sollte, und zeichnete mit der rechten Hand. War es möglich, dass er gar nicht der Täter war, oder versuchte er sie zu täuschen? Sabines Gedanken rasten, während sie ihn weiter beobachtete. Es war eine kleine, aber entscheidende Abweichung, die sie nicht ignorieren konnte.
Sabine verließ den Verhörraum, die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss. Sie nickte den Wachen zu, die vor dem Raum postiert sind, und gab ihnen einen knappen Befehl: „Behaltet ihn im Auge. Lasst ihn nicht aus den Augen." Die Wachen nickten und kehrten auf ihre Posten zurück.
Chief Harris stand vor ihr und sah sie an. "Was meinen Sie?" Sabine lächelte und setzte sich auf die Tischkante. "Wenn sie einen schnellen Schuldigen brauchen, hier ist er!" Sie schaute auf den Boden. "Aber er ist Rechtshänder, ich glaube Wax ist Linkshänder." Harris nickte nachdenklich. "Mir bleibt keine Wahl, man hat uns den perfekten Täter geliefert und ihr Bauchgefühl in allen Ehren. Ich komme in Teufels Küche, wenn ich so etwas Offensichtliches ignoriere." Sabine nickte zustimmend. "Ich werde die Zweifel dem Richter vortragen, in der Hoffnung, dass Herr Kane eine für ihn sichere Haftstrafe bekommt, damit ihm nichts passiert, falls sie was Neues haben."
Sabine machte sich schnellen Schrittes auf die Suche nach Stuart. Sie fand ihn in einem anderen Teil des Präsidiums, in einen Stapel Berichte vertieft. Ohne Vorwarnung ging sie auf ihn zu und begann zu sprechen: „Stuart, ich muss mit dir reden. Das ist mir alles zu einfach.“ Sie klang bestimmt und ihre Gedanken waren klar, obwohl sie wusste, dass sie auf Widerstand stoßen würde. Stuart blickte auf, sichtlich überrascht über ihr plötzliches Auftauchen und ihren direkten Ton. „Was meinst du damit?“, fragte er, legte die Berichte zur Seite und konzentrierte sich ganz auf sie. Während sein Blick schärfer wurde, rückte er seine Brille zurecht. „Wax“, begann sie, den Spitznamen des Verdächtigen, den sie ihm im Einsatzteam gegeben hatten, bereits fest in ihrem Wortschatz verankert. „Er passt einfach zu gut ins Bild. Alles deutet auf ihn hin, aber genau das ist das Problem. Es ist zu glatt, zu sauber, als ob jemand wollte, dass wir genau das denken.“
Stuart lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Der Name Wax ... gefällt mir. Aber was genau stört dich daran?“ Sabine zögerte nicht: „Er hat mit der rechten Hand gezeichnet, Stuart. Die Kinderzeichnungen, die ich gesehen habe, waren alle von Linkshändern. Es ist ein kleines Detail, aber es könnte entscheidend sein.“ Stuart runzelte die Stirn und überlegte. „Das ist ein Punkt, aber er könnte die Bilder auch von woanders her haben. Vielleicht will er uns verwirren, auf eine falsche Fährte locken.“ Sabine nickte, verstand den Einwand, blieb aber bei ihrem Verdacht. „Das mag sein, aber es gibt auch die Möglichkeit, dass wir jemanden festhalten, der vielleicht gar nicht der Täter ist. Vielleicht ist er nur ein Puzzleteil oder ein Sündenbock. Ich will sicher sein, bevor wir einen Fehler machen.
Sabine erreichte das Büro der Sondereinheit und überlegte, ob und wie sie ihren Verdacht mitteilen sollte. Corbin, der in den letzten Tagen eher zurückhaltend gewesen war und die meiste Zeit mit sarkastischen Kommentaren verbracht hatte, war plötzlich voller Energie. Er freute sich über den Erfolg und ließ keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, wie gut er seine Arbeit gemacht hatte. "Ich hab's ja gesagt", rief er triumphierend und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Manchmal muss man die Dinge einfach laufen lassen, dann fügen sie sich von selbst zusammen. Die anderen tauschten vielsagende Blicke aus. Jeder im Raum wusste, dass Corbin die meiste Zeit nur zusah und die Arbeit der anderen kommentierte, anstatt selbst etwas beizutragen. Aber niemand wollte ihm den Spaß verderben.
Harris, der Leiter des Büros, betrat den Raum mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Ich wollte euch persönlich gratulieren“, sagte er und stellte sich ans Kopfende des Tisches. „Ihr habt großartige Arbeit geleistet. Es war ein schwieriger Fall, aber dank eurer Hartnäckigkeit und eurem Teamgeist haben wir den Täter gefasst.“ Er blickte in die Runde, sein Blick verweilte kurz auf Sabine, die eine Schlüsselrolle bei den Ermittlungen gespielt hatte, auch wenn sie sich im Hintergrund gehalten hatte. „Ich bin stolz auf euch alle. Lasst uns diesen Erfolg genießen, aber vergesst nicht, dass da draußen noch mehr Arbeit auf uns wartet.“
Sabine sagte nichts.
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