Kapitel 32 - V

Startseite                                                                                                                             Kapitelübersicht


Die Lichter von Saint Veronika flackerten wie eine Vielzahl von Glühwürmchen, die sich im Schein der Nacht verloren. Hoch oben, auf einem der Türme des Finanzdistrikts, kniete Nitechore im Schatten. Der kalte Wind zerrte an seinem Panzer, doch dieser hielt die Kälte ebenso ab wie die Müdigkeit, die er seit Wochen ignorierte. Saint Veronika war nie still, nicht einmal um Mitternacht. Die Straßenlaternen warfen ihr fahles Licht auf die Bürgersteige, die voller Geschichten, Geheimnisse und Gefahren waren. Nitechore wusste, dass diese Stadt ihre dunklen Seiten hatte, und genau diese waren es, die ihn immer wieder auf die Straße lockten.  

"Tavin, hast du Neuigkeiten?", fragte Nitechore mit ruhiger Stimme. "Nein, heute ist es erstaunlich ruhig", antwortete der Custodian, der in der Basis wartete. "Diese ruhigen Nächte machen mich nervös" kommentierte Nitechore und wusste, dass er solche Gefühle nicht nachvollziehen konnte. Es waren Momente, in denen er es schade fand, dass Tavin das nicht konnte, aber wollte er wirklich, dass eine künstliche Intelligenz so etwas lernte? Samuel war sich unsicher. Die Straßen waren zu dieser späten Stunde immer noch stark befahren. Nitechore scannte ununterbrochen mit seinem Helmscanner die Umgebung, um zu sehen, ob etwas passierte. Der Finanzdistrikt war bekannt für größere Probleme und Einbrüche. Er hätte auch in die Altstadt gehen können, wo die Clubszene zu Hause war, um die Betrunkenen an die sozialen Verhaltensregeln zu erinnern. Aber wozu gab es Polizisten, wenn nicht für solche lapidaren Aufgaben. "Ihre Nervosität hat einen besonderen Grund, scannen Sie auf sieben Uhr."
Sein Helmscanner zeigte auf sieben Uhr eine Bewegung in einer der Seitengassen. Ein flüchtiger Wärmesignaturscan zeigte drei Gestalten, die sich um eine vierte gruppierten. Er zoomte näher heran und sah, wie ein Mann in die Enge getrieben wurde. Zwei der Angreifer hielten Messer, der dritte griff nach einer Tasche.  

Nitechore aktivierte den Enterhaken und schwang sich lautlos über die Dächer, bis er direkt über dem Geschehen stand. Mit einer fließenden Bewegung ließ er sich herab und landete lautlos hinter den Angreifern.  

„Das reicht“, sagte er mit tiefer, verstellter Stimme.  

Die Männer drehten sich überrascht um, ihre Augen weiteten sich, als sie Nitechore sehen konnten. Einer fiel vor Schreck zu Boden, ein anderer hob sein Messer.  

„Willst du das wirklich?“ fragte Nitechore und warf eine Rauchbombe in die Luft.  

Die Explosion verschluckte die Gasse, und als sich der Nebel lichtete, lagen die Angreifer bewusstlos am Boden. Der Mann, der ausgeraubt werden sollte, stand zitternd da und brachte kein Wort heraus.  

Nitechore deutete auf die Hauptstraße. „Geh. Ruf die Polizei.“  

Der Mann nickte hastig und rannte davon. Nitechore blickte zu den Sternen hinauf, die durch die Lichtverschmutzung kaum zu erkennen waren. Für solche Aufgaben hätte er auch in die Altstadt gehen können. Aber für die Menschen, die er rettete, war das mehr als genug. "Samuel, ich bitte Sie, fahren Sie zum Hafen. Die Polizei bereitet eine Razzia vor. Aber sie sind in der Unterzahl und wissen nichts davon." meldete Tavin übers Synect. Nitechore drückte auf eine Funktion in seinem Synect und sein Motorrad kam quietschend neben ihm zum Stehen. Er setzte sich darauf, die Stoßdämpfer litten unter seiner massiven Rüstung. 
Die Lagerhäuser am Rande des Hafens von Saint Veronika waren ein Umschlagplatz für illegale Aktivitäten, das wusste jeder in der Stadt, der sich die Kriminalstatistik genauer ansah. "Die Polizei positioniert sich um die markierte Stelle." hielt Tavin ihn auf dem Laufenden. "Okay, informiere mich, wenn etwas passiert." Die Straßen, die Lichter, die Autos, die Menschen zu später Stunde verschwammen im schnellen Vorbeifahren. Nitechore fuhr mit einer enormen Geschwindigkeit. "Nach meinen jetzigen Berechnungen werden sie rechtzeitig ankommen. Ich gebe Ihnen ein neues Ziel, um die Situation von außen zu beobachten. Ich plane die perfekte Kletterroute, um die erhöhte Position zu erreichen." Samuel lächelte unter seinem Helm. Tavin war ihm eine große Hilfe. Er erreichte den markierten Parkplatz und konnte mit Hilfe seines Helmbildschirms bereits einen holografischen Weg über Kisten und Leitern hinauf zu einer Halle erstellen. Nitechore, der aus sicherer Entfernung beobachtete, erkannte früh, dass etwas schief gehen würde. Tavins Analyse war präzise und richtig. Die Dealer waren besser organisiert und bewaffnet, als die Polizei angenommen hatte. Es war nicht seine Art, sich direkt in die Polizeiarbeit einzumischen, aber er konnte auch nicht zusehen, wie die Beamten in eine Falle liefen.

Als die ersten Schüsse fielen, bewegte sich Nitechore wie ein Schatten durch die Nacht. Er landete auf einem Container direkt über einem der Schützen, aktivierte ein Betäubungsgewehr und schlug den Mann lautlos nieder.  

Ein junger Polizist, kaum älter als Mitte zwanzig, war in Deckung gegangen und wurde von zwei Kriminellen bedrängt. Nitechore sprang direkt zwischen sie und setzte einen der Angreifer mit einem gezielten Tritt außer Gefecht. Der andere schwang eine Metallstange, die Nitechore mit seiner gepanzerten Unterarmklinge blockierte, bevor er den Angreifer mit einer fließenden Bewegung entwaffnete und zu Boden riss.  

„Bleiben Sie bei mir“, befahl Nitechore dem Polizisten, dessen Gesicht eine Mischung aus Schock und Erleichterung zeigte.  

„Wer sind Sie?“ fragte der Beamte keuchend.  

„Jemand, der dafür sorgt, dass Sie diese Nacht überleben.“  

Ein anderer Dealer stürmte aus der Dunkelheit, eine Pistole in der Hand. Bevor er schießen konnte, warf Nitechore eine Rauchbombe, die die Sicht vernebelte. Innerhalb von Sekunden war der Mann bewusstlos, getroffen von einem gezielten Ellbogenstoß.  

Nitechore wusste, dass die Dealer Verstärkung rufen würden. Die Polizei war zahlenmäßig unterlegen, und der Einsatzleiter funkte verzweifelt nach Hilfe.

„Rufen Sie Ihre Leute zurück“, sagte Nitechore knapp zu dem Polizisten. „Ich übernehme hier.“ Der Polizist sah ihn nur an und drehte sich zu seinen Leuten um: "Rückzug! Wir übernehmen später!" Nitechore nickte ihm nur zu. Die Polizisten rannten hinaus und Stille herrschte in der Halle. 
Eine Flotte schwarzer Geländeskidcars hielt mit quietschenden Reifen vor dem Lagerhaus und bewaffnete Männer sprangen heraus. Ihre Waffen blitzten im Schein der Scheinwerfer, die das Gelände in ein gespenstisches Licht tauchten.

Nitechore, stets wachsam, hatte sich in den Schatten eines hohen Stahlträgers zurückgezogen. Seine Augen suchten die Umgebung durch den Helm ab, der die Bewegungen und Waffen der Feinde markierte. Zwanzig Mann. Schwere Bewaffnung. Es würde kein leichter Kampf werden, aber das hatte er auch nicht erwartet. Schnell schwärmten die Männer aus und begannen, die Halle zu durchsuchen. 
„Zeit, den Spieß umzudrehen“, murmelte Nitechore und aktivierte seine Rauchbomben. Innerhalb von Sekunden hüllte dichter Nebel das Lagerhaus ein. Einer der Kriminellen mit einem Sturmgewehr hielt inne, als er den Rauch bemerkte. Lautlos tauchte Nitechore aus der Dunkelheit auf, seine gepanzerte Faust bohrte sich in den Solarplexus des Mannes. Noch bevor dieser zu Boden fiel, hatte Nitechore das Gewehr an sich gerissen und warf es außer Reichweite.
Der Nächste griff mit dem Messer an. Nitechore blockte den Hieb mit seinem gepanzerten Unterarm, drehte sich um und setzte den Angreifer mit einem gezielten Tritt in die Kniekehle außer Gefecht. „Zwei weniger“, dachte er und wandte sich schon dem nächsten Ziel zu.
„Da ist er!“ schrie einer der Dealer und feuerte blindlings in die Dunkelheit, die Energiegeschosse wurden von der Wand verschluckt. Nitechore war längst nicht mehr da. Stattdessen tauchte er hinter einer Gruppe von mehreren Männern auf, die sich in die falsche Richtung bewegten. Er zog seinen Enterhaken, schoss ihn an einem Deckenbalken hoch und zog sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in die Höhe, während er  Betäubungsgeschosse in die Menge feuerte. Die Männer schrien auf, als sie getroffen wurden, und sanken bewusstlos zu Boden. Von oben ließ Nitechore einen Metallträger fallen, der einen weiteren Dealer die Deckung kostete. Mit einem gezielten Sprung landete er neben ihm, schlug ihn mit dem Ellbogen und griff nach seiner Waffe. Samuel wusste, dass er ihre Reihen durchbrechen musste, bevor sie sich neu formieren konnten. Er aktivierte die Wärmebildsensoren seines Helms und machte die Anführer ausfindig. Zwei Männer bei den Geländewagen schienen die Befehle zu geben. Er zog einen kleinen Sprengsatz aus seinem Gürtel, sprang lautlos von Container zu Container und befestigte ihn an den Fahrzeugen. Kein Feuerball, nur genug, um die Fahrzeuge außer Betrieb zu setzen und Panik auszulösen.

„Was zum Teufel ist das?“, schrie einer der Dealer und sah sich um.

Nitechore nutzte die Verwirrung. Er landete direkt zwischen den Anführern, schlug einem die Beine weg und brachte den anderen mit einem präzisen Schlag an die Kehle zum Schweigen. Nitechore stand inmitten des Chaos, sein Atem war ruhig, seine Haltung unverändert.Er sah das die Polizei sich wieder nährte und sich aus ihrem sicheren Versteck trauten. Nitechore nickte einem von ihnen zu.

„Das war beeindruckend“, sagte der Beamte leise.

„Machen Sie Ihre Arbeit“, erwiderte Nitechore, drehte sich um und hielt inne.

Plötzlich bebte der Boden der Lagerhalle und die Polizisten und Nitechore sahen sich um. "Ich habe auf den Kameras gesehen, dass wir Besuch bekommen", kommentierte Tavin die Situation über Synect. Der Ankömmling war sehr groß und eine imposante Erscheinung. "Wer ist er, Tavin?" fragte Nichtechore schließlich. "Ich habe die Bilder durch das System geschickt. Er ist ein Elitesöldner und nennt sich Drain." Nitechore stellte sich schützend zwischen Drain und die Polizisten und drehte sich zu ihnen um. "Geht in Deckung", befahl Nitechore und die Polizisten folgten seinen Anweisungen. Der Elitesöldner Drain war eine imposante Gestalt, gekleidet in eine maßgeschneiderte Rüstung, die schwarze Keramikplatten mit hochentwickelten Energiequellen kombinierte. Sein Helm war glatt und reflektierte das Licht zerbrochener Lampen, während ein rotes Visier ihm das Aussehen eines Jägers verlieh, der seine Beute ins Visier genommen hatte. Nitechore beobachtete ihn aus den Schatten, sein Scanner analysierte die Struktur der Panzerung. Die Waffensysteme waren hochmodern: eine Kombination aus kinetischen Impulsgeschützen und Nahkampfwaffen, vermutlich Energieverstärker. Der Gegner war kein gewöhnlicher Söldner, sondern ein Jäger.

„Ich hatte gehofft, dass wir uns begegnen“, sagte Drain mit tiefer, resonanter Stimme. Seine Schritte hallten durch die Halle, als er sich aufrichtete, die Hände lässig auf seine Waffen gestützt. "Drain, ich kannte dich bis eben nicht. Meine Hoffnung war leider nicht vorhanden", erwiderte Nitechore.

"Oh oh du hast direkt gesucht?" Drain lachte herzlich."Ein Streber. Das freut mich."

„Was willst du?“ fragte Nitechore ruhig, den Blick fest auf seinen Gegner gerichtet.

„Deinen Kopf. Auf ihn ist ein hübsches Kopfgeld ausgesetzt, und ich bin hier, um ihn mir zu holen.“

Drain feuerte zuerst, ein schneller Schuss aus seiner Impulskanone, der Nitechore nur knapp verfehlte. Die Druckwelle des Schusses riss eine Kiste in zwei Hälften und demonstrierte die Macht seiner Waffe. Nitechore reagierte sofort und feuerte einen Betäubungsbolzen ab, den Drain mit einem blitzschnellen Energieschild ablenkte.

„Netter Versuch“, spottete der Söldner, bevor er auf Nitechore zustürmte.

Mit einem Sprung wich Nitechore aus und zog sich mit seinem Enterhaken auf eine höher gelegene Plattform. Von oben warf er eine Rauchbombe, doch der Drain aktivierte ein Wärmebildmodul und feuerte erneut, so dass die Kante der Plattform absplitterte. "Pass auf Nitechore auf. Wie bei Ratchetclaw hat Drain eine stärkere Ausrüstung als bei seinen letzten Missionen." Nitechore antwortete: "Lass mich raten, V könnte ihm geholfen haben."


Nitechore wusste, dass dieser Gegner mehr als rohes Talent besaß, er war strategisch, berechnend und hatte Zugang zu modernster Technologie. Es würde mehr als rohe Kraft brauchen, um ihn zu besiegen. Nitechore suchte Schutz im Rauch, um sich einen Plan zu überlegen. Plötzlich, als hätte ihn eine Abrissbirne getroffen, flog er durch die Luft und prallte gegen einen Balken. Drain kam zu ihm und hob ihn hoch. "Du bist ein leichtes Ziel." Er hob Nitechore hoch und warf ihn auf den Boden. Samuel spürte, wie der Schmerz durch seinen Körper fuhr und seine Rüstung ihn vor gebrochenen Knochen schützte. Drain wiederholte das immer wieder. Drain ließ Nitechore schließlich los, fiel zu Boden, ging ein paar Schritte und lachte ihn aus. Musste sich aufstützen, um zu lachen. Samuel zweifelte an seiner Aufgabe, als Nitechore für Sicherheit zu sorgen. Samuel hatte noch eine Idee und hob den Arm, eine Ablenkungsdrohne löste sich von seiner Rüstung die an der Schulter befestigt war und erhob sich in die Luft. Drain bemerkte sie nicht, als sie plötzlich einen schrillen Ton von sich gab, der seine Aufmerksamkeit erregte. Kaum hatte er die Drohne erblickt, gab sie einen unfassbar hellen Lichtschein von sich. Samuel richtete sich auf und Drain wandte ihm den Rücken zu. Mit einem gezielten Tritt gegen die Energiequelle des Anzugs brachte er den Söldner kurz aus dem Gleichgewicht, doch der konterte mit einem Ellenbogenschlag, der Nitechore zurückwarf.

„Nicht schlecht“, sagte Drain und zog ein Langschwert, das vor Energie summte. „Aber du bist nicht der Einzige mit Tricks.“


Nitechore duckte sich unter einem schnellen Hieb, zog seine gepanzerte Unterarmklinge und blockte den zweiten ab. Funken sprühten, als die Waffen aufeinanderprallten, doch Nitechore nutzte die Gelegenheit, um eine weitere Haftladung an der Rüstung des Söldners anzubringen. Der Schmerz pochte und der Anzug gab nach. „Deine Tricks sind beeindruckend“, sagte Nitechore und wich zurück. „Aber sie haben Löcher.“ Mit einem Knopfdruck explodierte die Haftladung und schleuderte den Söldner nach hinten. Die Rüstung zeigte erste Schäden, doch der Mann stand schwer atmend wieder auf, aber nicht besiegt.

„Du bist besser, als ich dachte“, gab Drain zu, während er eine seiner Waffen neu kalibrierte. Doch bevor er seinen nächsten Angriff starten konnte, sprang Nitechore über ihn hinweg und setzte seinen Enterhaken ein, der den Söldner am Rücken traf und dort hängen blieb. Mit einem kräftigen Ruck riss Nitechore den Enterhaken heraus, der Söldner stürzte, eine Schutzplatte seines Anzugs löste sich und landete krachend auf dem Boden. Mit einem lauten Krachen fiel der Söldner zu Boden. Sein Anzug war deaktiviert und er blieb regungslos liegen, während Nitechore über ihm stand. Er zielte mit dem Betäubungsschuss auf ein Stück freie Haut und betäubte den Söldner.

Nachdem Nitechore den Elitesöldner außer Gefecht gesetzt hatte, verband er seinen Anzug mit dem von Drain, um dessen Synect zu lesen. Er fand eine Nachricht. Sie trug keinen Absender, nur ein prunkvolles "V" als Siegel. Neugierig öffnete er den digitalen Umschlag und überflog die knappen, präzisen Zeilen: "An Harold, Ihr Ziel ist in Saint Veronika und heißt Nitechore. Der Auftrag ist klar: Neutralisieren Sie die Bedrohung und bringen Sie mir Beweise. Versagen ist keine Option.

V." Samuel hielt inne. Immer wieder das "V", das offensichtlich in Saint Veronika seine Fäden zog, dass jemand mit beträchtlicher Macht und Einfluss diesen Söldner geschickt hatte. Sein Instinkt sagte ihm, dass es nicht bei diesem einen Versuch bleiben würde.

„Das Kopfgeld wird auf sich warten lassen“, sagte Nitechore und verschwand in den Schatten. Die Polizisten, die draußen in Sicherheit standen, sahen ihm nach, als er hinauslief, und gingen hinein, um den Söldner zu finden und zu verhaften.


Vorheriges Kapitel                                                                                                             Nächstes Kapitel

Kommentare