Kapitel 41 - Generalunternehmer
Die Menschen wuselten geschäftig durch den Bahnhof von Madison Town, der Hauptstadt der Vereinigten Republik. Samuel hatte die Möglichkeit gehabt, mit Isaac zu dem Treffen zu fahren, aber er entschied sich bewusst für den Zug. Als er die Union Station erreichte, fiel sein Blick auf die prunkvolle neoklassizistische Architektur des Empfangsgebäudes. Die Marmorhalle war beeindruckend groß und lichtdurchflutet. Lange Holzbänke boten den Reisenden Platz zum Warten, während sich die Menschen um ihn herum in alle Richtungen bewegten.
Er verließ das Gebäude durch den Hauptausgang und trat auf den Columbus Circle, einen weitläufigen Platz mit einem kunstvoll gestalteten Springbrunnen in der Mitte. Die gepflegte Grünanlage unterstrich seine Eleganz. Gerade als er auf den Brunnen zuging, wurde er unerwartet angerempelt und taumelte leicht zur Seite. Er blieb kurz stehen und betrachtete den Fassadenschmuck der Union Station. Die Statuen repräsentierten Prometheus für das Feuer, Thales für die Elektrizität, Themis für Freiheit und Gerechtigkeit, Apollo für Phantasie und Einfallsreichtum, Archimedes für die Mechanik und Ceres für die Landwirtschaft. Samuel mochte es, wenn Gebäude tiefere Bedeutungen transportierten.
Er winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran, stieg ein und nannte die Adresse des Weißen Hauses. Der Taxifahrer warf ihm einen grimmigen Blick durch den Rückspiegel zu, während er den Wagen geschickt durch den hektischen Stadtverkehr lenkte. Nach einer kurzen, aber ereignisreichen Fahrt erreichten sie ihr Ziel. Samuel hielt seinen Synect an den Scanner und bezahlte die Fahrt.
Vor dem Tor wartete bereits ein Wachmann, der zielstrebig auf ihn zukam.
"Burrow ist mein Name. Ich bringe Sie zum Treffen."
Samuel nickte und folgte ihm durch das Tor. Der Garten des Anwesens war akribisch gepflegt - eine Seltenheit in den modernen Städten, in denen jede geschützte Fläche anderweitig genutzt wurde. Doch hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein.
Anstatt das Weiße Haus zu betreten, führte Burrow ihn zu einem Gebäude im Hintergrund. Schon nach wenigen hundert Metern bemerkte Samuel mindestens ein Dutzend Sicherheitskräfte.
Im Foyer des Sitzungssaals hatten sich bereits hochrangige Persönlichkeiten versammelt. Unter ihnen war John Warren, Chef von Section Shield, einer Sicherheitsfirma, die nicht nur mit privaten Söldnern operierte, sondern auch das berüchtigte Gefängnis San Arenisca auf Alcatraz umgebaut hatte. An seiner Seite stand der Bürgermeister von Saint Veronika, Alfred Watergilb. Samuel war nicht überrascht - schließlich betrafen die wirtschaftlichen Entscheidungen der Regierung auch seine Stadt direkt.
Wenig später betraten der Stadtrat John Hill und die resolute Stadträtin Elizabeth Thorne den Raum. Thorne war für ihre schroffe Art bekannt. Plötzlich hörte Samuel eine Stimme hinter sich.
"Samuel."
Es waren Don Calogero Sciopare und Don Giuliano Checchino, zwei berüchtigte Rivalen, die Saint Veronika unter sich aufgeteilt hatten. Trotz ihrer kriminellen Machenschaften bekleideten sie offizielle Ämter als Stadträte. Sciopare umarmte Samuel mit gespielter Herzlichkeit, bevor er weiterging. Samuel beobachtete amüsiert, wie Elizabeth Thorne angewidert die Lippen schürzte.
Er nahm ein Glas Wasser von einem Kellnertablett, als sich die Eingangstür erneut öffnete und Isaac und Erik eintraten. Gerade als sie sich begrüßen wollten, kam John Pendrick, ein Berater des Präsidenten, aus dem angrenzenden Besprechungsraum.
Die Gruppe folgte ihm und nahm an dem langen Holztisch Platz. Wenige Augenblicke später betrat George Ford, der Präsident der Vereinigten Republik, den Raum, gefolgt von Robert Ward, dem Leiter von Globe Preservation. Samuel hatte ihn bereits auf früheren Reisen kennen gelernt.
Ford setzte sich und sprach mit gewichtiger Stimme:
"Ich begrüße Sie alle zu einer wegweisenden Sitzung. Es geht um die Sicherheit und den Schutz unseres wunderbaren Landes. Als Patrioten ist es unsere Pflicht, unsere Nation an der Spitze der Welt zu halten."Er stand auf und nickte Erik zu, der zu ihm kam. Auf dem Tisch erschien ein Hologramm, das eine beunruhigende Szene zeigte: Umbra, wie er den Alteration Day in Blackchester verwüstete.
"Wir waren machtlos", fuhr Ford fort. "Bis heute wissen wir nicht, warum er aufgehört hat. Aber eines ist sicher: Wenn er so plötzlich verschwunden ist, wird er wiederkommen."
Eine bedrückende Stille breitete sich aus, bis Erik das Wort ergriff.
"Präsident Ford hat mit den anderen Nationen Kontakt aufgenommen, um eine Lösung zu finden. Gleichzeitig stellt Herr Ward eine Gruppe von Spezialisten zusammen. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das, was wir hier gesehen haben, eine Bedrohung neuen Ausmaßes darstellt."
Er zeigte auf Isaac und Samuel.
"Wir von Pretorius-Tech haben die Wächter entwickelt. Sie wurden ursprünglich geschaffen, um den Menschen zu helfen und sie zu entlasten. Aber ihr militärisches Potential ist nicht zu übersehen."
Ein Raunen ging durch den Raum, viele schienen beeindruckt. Samuel erhob sich langsam und blickte in die Runde.
"Ich verstehe Ihre Begeisterung", sagte er ruhig. "Ich sehe das Potenzial, und ja, auch ich werde davon profitieren. Aber wir müssen vorsichtig sein. Wir setzen KI ein, um die Custodians zum Denken und Handeln zu bringen. Unser System ist sicher, aber ..."
Er brach ab, sein Blick wanderte über den Tisch.
"Wir dürfen nicht vergessen, dass es viele kriminelle ... Menschen gibt, die diese Art der Automatisierung gerne ausnutzen würden. Man muss sich nur daran erinnern, dass die Menschen vor rund 300 Jahren durch dumme Bilder und gefälschte Videos verunsichert wurden. Ja, man muss ihnen Intelligenz absprechen, weil sie dachten, fossile Brennstoffe seien die Zukunft. Aber das war der Anfang vom Ende und endete im Dritten Weltkrieg. Darunter leiden wir noch heute. Das sollten wir bei aller Begeisterung nicht vergessen." Es war still im Saal.
Elizabeth Thorne ergriff die Initiative: "Ich denke, wir können jetzt diese naiven Aussagen hinter uns lassen und überlegen, wie wir das Ganze umsetzen können." Samuel setzte sich, sah sie nur an und sagte: "Wenn wir dieses Spiel spielen, werden die Custodians nie zur Verteidigung eingesetzt." Erik ging auf Samuel zu und hob beschwichtigend die Hand. "Ich bin sicher, wir können darüber reden." Der Präsident mischte sich ein.
"Herr Palmer, Sie wissen, dass ich über alle Mittel verfüge, um meinen Willen durchzusetzen." Samuel lächelte leicht. "Es sieht so aus, als hätten sich alle schon vorher entschieden, Herr Präsident. Ich habe kein Problem damit, die Produktion einzustellen. Wir sind uns alle ziemlich sicher, dass für mindestens hundert Jahre niemand in der Lage sein wird, unsere Umsetzung der Custodians zu übernehmen." Thorne erhob sich und ging auf Samuel zu. "Sie sind so ein naives Kind." Samuel stand ebenfalls auf und war etwa anderthalb Köpfe größer. "Ich bin nur kein machtbesessenes Miststück."
Elizabeth Thornes Gesicht wurde knallrot, und sie hob die Hand. "Trauen Sie sich", sagte Samuel ruhig. Isaac, der inzwischen aufgetaucht war, hielt ihre erhobene Hand fest. "Vielleicht sollten wir das Gespräch im kleinen Kreis fortsetzen", meinte der Präsident.
Wenige Minuten später saßen nur noch Präsident Ford, Erik, Isaac, Ward und Samuel zusammen. "Ich biete ihnen einen unbefristeten Generalunternehmervertrag für Custodians an. Nicht nur für militärische, sondern für alle", sagte Ford ruhig. "Damit wäre ich einverstanden", sagte Erik und Isaac nickte. "Unter einer Bedingung", sagte Samuel. "Wir bauen eine Sicherung ein. Eine von Ward, eine von uns und eine von Ihnen." Ford stand auf und sah aus dem Fenster. "Ich bin einverstanden."
Sie hatten sich fertig gemacht und waren auf dem Weg nach draußen. Vor der Tür standen die anderen, und Thorne warf Samuel einen wütenden Blick zu, aber der ignorierte sie und ging vorbei. Er folgte dem Weg zum Tor. "Samuel", rief eine Stimme hinter ihm, und er drehte sich um. Es war Ward, der ihm schnell folgte: "Ich fahre dich zur Union Station." Im selben Moment fuhr sein Skidcar vor. Samuel nickte und sie stiegen ein. Sie setzten sich auf die Rückbank, und Thorne ließ die Trennwand hochfahren und schaltete das Mikrofon aus, mit dem er den Fahrer hätte erreichen können.
"Ich möchte Sie als Teamleiter", sagte Ward. "Was meinen Sie damit?", fragte Samuel vorsichtig.
"Sie sind Nitechore und arbeiten mit Barnowl. Sie werden nein sagen, und das ist ihr gutes Recht. Wir suchen Leute wie sie, die etwas bewegen. Wir sind uns zu 99 Prozent sicher. Ich garantiere ihnen, dass niemand davon erfahren wird. Sie würden eine Gruppe außergewöhnlicher Menschen leiten. Sie haben Erfahrung und sind sehr kreativ. Sie müssen jetzt nichts sagen." Der Wagen hält vor der Union Station. "Danke, dass Sie mich mitgenommen haben", sagt Samuel und stieg aus.
Samuel steht auf dem Vorplatz und blickt auf den Springbrunnen. Sein Synect klingelt. "Nitechore? Hier ist Barnowl." Samuel lächelt, als er an das Gespräch denkt, das er gerade geführt hat. "Ja, ich höre." Sie schwieg einen Moment.
"Ich bin die Unterlagen von Equinox durchgegangen und habe ein mögliches Versteck von Ratchetclaw entdeckt. Wann kommst du zurück?"
"In ein paar Stunden. Ich bin gerade in Madison Town. Schick mir die Adresse und ich komme."
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