Kapitel 27 - Spurensuche

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Lautlos bewegte sich Nitechore an der Gebäudewand entlang, bis er eine geeignete Einstiegsstelle gefunden hatte: ein unauffälliges Fenster im zweiten Stock, das von den Überwachungskameras nicht erfasst wurde. Mit einem präzisen Schlag seines Enterhakens riss er das Seil hoch und zog sich elegant nach oben. Das Fenster war mit einem einfachen Schloss gesichert, das er schnell knackte.


Geräuschlos glitt er ins Innere des Gebäudes. Die Gänge des Rathauses waren dunkel und leer, nur vereinzelt von schwachen Notlichtern erhellt. In der Luft lag der Geruch von altem Holz und Papier. Zielstrebig bewegte er sich durch die Gänge, vorbei an verschlossenen Türen und verlassenen Büros. Sein Ziel war das Archiv im Keller, wo die geheimsten Dokumente aufbewahrt wurden. Als er die Treppe hinabstieg, hörte er das leise Summen der Klimaanlage und das gelegentliche Knarren der alten Bausubstanz. Unten angekommen, hielt er kurz inne, um die Umgebung zu scannen. Zwei Wachen standen vor der Tür des Archivs, aber sie waren nicht sehr aufmerksam. Er zog ein kleines Projektil aus seinem Handgelenkgerät und feuerte es leise ab. Das Geschoss traf die Wand neben den Wachen und setzte sofort ein Betäubungsgas frei. Innerhalb von Sekunden sanken die Männer bewusstlos zu Boden. Der Eindringling ging an ihnen vorbei und deaktivierte mit einem weiteren Gerät aus seinem Arsenal das Sicherheitssystem der Tür.

Das Archiv war ein großer, fensterloser Raum, vollgestopft mit Regalen, die bis unter die Decke reichten. Tausende von Akten und Dokumenten waren hier sorgfältig archiviert. Systematisch durchsuchte er die Schränke nach Hinweisen auf SumX. Es dauerte nicht lange, bis er auf einen dicken Ordner mit der Aufschrift "Projekt SumX - Vertraulich" stieß. Er zog den Ordner heraus und begann, darin zu blättern. Die Dokumente enthielten detaillierte Berichte über Experimente, Beteiligte und mögliche Einsatzszenarien. Ein Name tauchte immer wieder auf: Dr. Leonard Harrington, ein führender Wissenschaftler, der seit Monaten spurlos verschwunden war. Ein Dokument erregte seine besondere Aufmerksamkeit: ein handgeschriebener Brief von Dr. Harrington, der auf die gefährlichen Nebenwirkungen von SumX hinwies und eine dringende Warnung aussprach.

Überall lagen Akten und Papiere. Der maskierte Eindringling durchsuchte die Unterlagen und fand Hinweise auf verschiedene Geschäfte und politische Intrigen, aber nichts direkt über SumX. Stimmen waren zu hören. Er zog sich in eine dunkle Ecke zurück und wartete. Die Tür öffnete sich und Alfred Watergilb trat ein. Der Bürgermeister trug einen seidenen Morgenrock und sah müde aus. Er ging direkt zu seinem Schreibtisch und begann, in den Papieren zu wühlen.

Nitechore wartete auf den richtigen Moment. Als Watergilb sich umdrehte, trat er lautlos aus dem Schatten und stellte sich direkt hinter den Bürgermeister. Mit einer schnellen, geübten Bewegung zog er den dicken, grauhaarigen Mann zurück und legte ihm eine Hand auf den Mund, um einen Schrei zu verhindern. „Keine Bewegung“, flüsterte er. „Ich habe ein paar Fragen, und Sie werden sie mir beantworten.“ Watergilb zuckte zusammen und versuchte, sich zu wehren, aber Nitechore hielt ihn fest. „Ich werde meine Hand von deinem Mund nehmen, und du wirst still sein. Verstanden?“ Der Bürgermeister nickte hastig. Langsam ließ der Eindringling die Hand sinken, aber er blieb wachsam. „Sag mir alles, was du über SumX weißt“, verlangte er.

Watergilb starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an. „Ich ... ich weiß nicht viel. Es ist ein geheimes Projekt, das von Dr. Harrington bei SeTech geleitet wird. Er arbeitet in einem Labor außerhalb der Stadt. Ich habe nur begrenzten Zugang zu Informationen. Es sollte der Durchbruch für die SVPD sein.“

„Du lügst“, sagte der Eindringling ruhig. „Ich habe die Akten gesehen. Du weißt mehr. Warum wurden diese Experimente durchgeführt? Was ist das Ziel?“

Watergilb schluckte schwer. „SumX ... es sollte eine Art übermenschliches Serum sein. Es sollte die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Anwender verbessern. Aber es gab Komplikationen, Nebenwirkungen, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Harrington hat uns gewarnt, aber wir haben ihn in den Wind geschlagen. Es wurde zu einem unglaublichen Gift".

Nitechore spürte, wie er der Wahrheit näher kam. „Wo ist Dr. Harrington jetzt?“

„Er hat sich versteckt“, antwortete Watergilb, „nachdem er sich geweigert hatte, weiter an dem Projekt zu arbeiten, haben wir versucht, ihn festzunehmen, aber er ist verschwunden. Ich schwöre, ich weiß nicht, wo er ist“.

„Das ist nicht alles, Watergilb. Da steckt noch mehr dahinter. Was geht hier wirklich vor?“ Der Ton des Eindringlings war unnachgiebig.

Bevor Watergilb antworten konnte, knackte Nitechores Funkgerät. „Nitechore, wir haben ein Problem“, meldete sich Tavin. „Ein Juweliergeschäft wird gerade überfallen. Du solltest dir das ansehen.“

Nitechore zögerte kurz, dann ließ er den Bürgermeister los. „Du hast Glück gehabt, Watergilb. Aber es ist noch nicht vorbei. Das nächste Mal gibst du mir die Informationen.“ 

Watergilb nickte hastig. "Mit diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit.

Er sprintete zum Ausgang, schwang sich auf sein Motorrad und raste durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Währenddessen sprach er über Funk mit Tavin. „Warum sollte jemand um diese Zeit noch Schmuck stehlen? Es gibt doch viel wertvollere Dinge.“

„Ich weiß nicht“, antwortete Tavin. „Aber eine Eule ist schon da, und sie hat Probleme.“

"Wer ist sie?" fragte Nitechore. "Sie sieht aus wie Equinox." Nitechore schwieg eine Weile. "Er ist tot, oder?" Es knackte kurz. "Ja, das ist er. Aber er hat einen Menschen beschützt. Das konnte man am Tatort sehen."

Als Nitechore ankam, sah er die junge Vigilantin mit beeindruckender Geschwindigkeit durch die Dunkelheit wirbeln. Sie bewegte sich wie eine Turnerin auf einer unsichtbaren Bahn, jede Drehung, jeder Sprung mit tödlicher Präzision. Ihre Gegner versuchten sie einzuholen, doch sie war ihnen immer einen Schritt voraus. Mit einer blitzschnellen Bewegung katapultierte sie sich über einen Räuber hinweg, während feine Nadeln aus ihren Armen schossen und zwei Angreifer zu Boden zwangen.

Doch die Räuber waren zahlreich und drohten trotz ihrer Gewandtheit, sie einzukreisen. Nitechore zögerte nicht länger. Mit einem dumpfen Aufprall landete er auf dem Boden, sein schwerer Anzug knirschte leise, als er sich in Bewegung setzte. Er war nicht schnell, aber sein gepanzerter Körper war eine unaufhaltsame Kraft.

Ein Räuber stürmte auf ihn zu, doch Nitechore riss nur den Arm hoch, der Schlag prallte wirkungslos an seiner Rüstung ab. Mit einem Ruck packte er den Angreifer und schleuderte ihn gegen eine Wand. Zwei weitere Räuber wollten ihn gleichzeitig angreifen, doch er riss seinen rechten Arm hoch, aus dem ein kurzer Energieschub austrat, der sie zurückwarf. "Tavin, diese neue Funktion ist fantastisch!" rief Nitechore freudig über Synect.

Währenddessen bewegte sich die Vigilantin wie ein Schatten zwischen den Gegnern. Sie benutzte Nitechore als Deckung, sprang auf seine Schulter, stieß sich ab und feuerte eine Salve von Nadeln aus ihren Armen, die weitere Angreifer kampfunfähig machten.

Nitechore ging unbeirrt weiter. Ein Angreifer versuchte, ihn mit einem Knüppel zu treffen, aber es war, als würde er gegen eine Stahlwand schlagen. Nitechore packte den Mann am Kragen und drückte ihn zu Boden. Dann warf er eine Blendgranate, um die letzten Gegner zu verwirren. Sie nutzte die Gunst der Stunde, wirbelte durch die Luft und beendete den Kampf mit einem akrobatischen Tritt gegen den letzten verbliebenen Räuber.

Als der letzte Feind stöhnend am Boden lag, trat Nitechore einen Schritt zurück und ließ seinen Blick über das Schlachtfeld schweifen. Der Kampf war vorbei. Er richtete sich auf, aktivierte sein Synect und rief die SVPD. Während er sprach, blickte er zu seiner Partnerin, die kaum außer Atem ein paar Nadeln aus dem Ärmel zog. „Nicht schlecht“, murmelte er anerkennend.

Er drehte sich zu ihr um. „Wie heißt du und warum tust du das?“

Sie sah ihn entschlossen an. „Ich ....ich, er hat es mir überlassen. Ich nenne mich ...“, sie atmete kurz durch, "Barnowl."

Er nickte langsam. „Dann solltest du lernen, dich besser einzuschätzen. Wäre ich nicht gekommen, hätte sie dich zerstört. Pass auf dich auf. Ich werde versuchen, dich zu unterstützen, wenn du das willst.“ Ein Kontakt auf ihrem Synect erschien. Nitechore annehmen oder ablehnen. Sie drückte auf annehmen.

Sie sah ihn überrascht an. „Meinst du das ernst?“

„Wenn du es ernst meinst, dann ja.“

Sie nickte entschlossen. „Ich bin bereit.“

„Gut. Dann wollen wir mal sehen, was du zu bieten hast.“


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