Kapitel 24 - Relevanz

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Tasha saß an ihrem Schreibtisch, umgeben von einem Chaos aus Notizzetteln, Stiften und Kaffeebechern. Es war ein typischer Morgen bei WNN: hektische Telefonate, klickende Tastaturen und immer wieder Stimmen, die über die Köpfe der Kollegen hinweg riefen. Die Energie im Büro war ansteckend, aber auch ein wenig überwältigend. Inzwischen war Tasha seit einer Woche dabei und hatte ihren Platz in der Redaktion gefunden. Heute arbeitete sie an einem Bericht über die Auswirkungen der jüngsten Proteste in den Vorstädten. Das Thema lag ihr sehr am Herzen, und sie wollte es so authentisch wie möglich darstellen. Während sie tippt, wirft sie einen Blick auf die geöffnete Datei auf ihrem Bildschirm. "Kann ich es noch schärfer formulieren?", dachte sie und biss sich auf die Unterlippe. Ein Seufzen drang vom Nachbarschreibtisch zu ihr herüber. Doug, der ein paar Plätze weiter saß, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rieb sich die Schläfen. "Ich schwöre, wenn ich noch mehr Influencer fotografieren soll, reiße ich die Bude hier ab."

Tasha lächelte leicht. "Willkommen zurück im Journalismus. Was ist es diesmal?"

Doug sah sie mit einem erschöpften, aber humorvollen Lächeln an. "Der Typ nennt sich Charles Loving. Ganz schön schleimig."

Tasha lachte. "Vielleicht solltest du dir andere Fotomotive suchen."

"Hast du Zeit?" Doug hob die Augenbrauen und deutete auf sein Hemd, das an der Schulter einen kleinen Kaffeefleck hatte. "Das ist die Definition von sehr attraktiv."

Sie schüttelte den Kopf und machte sich wieder an die Arbeit. "Nun, viel Glück dabei. Ich bin sicher, du schaffst es. Und wenn nicht, versuch's mit Snacks, das hat bisher immer geholfen."

Doug grinste. "Du lernst schnell."

Gerade als Tasha in ihre Notizen vertieft war, erschien Dominic Cole in der Bürotür. Seine imposante Erscheinung ließ den Lärm im Raum für einen Moment verstummen. "Leute, in zwanzig Minuten brauchen wir die Schlagzeilen für die Mittagsausgabe. Und ich will keine halben Sachen!" Die Kolleginnen und Kollegen nickten hastig und arbeiteten noch schneller. Tasha spürte, wie der Druck in ihrem Nacken zunahm, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Als sie ein paar Minuten später ihre Gedanken sammelte, erschien Doug wieder an ihrem Schreibtisch. Er hielt eine Schachtel Schokoriegel in der Hand und reichte ihr einen. "Zur Stärkung. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen."

Tasha nahm den Riegel und lächelte dankbar. "Du bist ein Lebensretter, Doug."

"Das höre ich oft", sagte er augenzwinkernd und ging zu seinem Platz zurück.

„Miss Johnson“, sagte Cross mit gespielt höflicher Stimme und verschränkte die Arme vor der Brust, „Sie scheinen sich schnell einzuleben. Wie ... erfreulich.“ James Cross war einer ihrer Vorgesetzten.

Tasha straffte die Schultern und bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Ich danke Ihnen, Herr Cross. Ich tue mein Bestes.“

„Oh, das sieht man.“ Sein Blick wanderte über ihren Bildschirm, als wollte er jeden ihrer Tastenanschläge bewerten. „Ein Artikel über Demonstrationen, nicht wahr? Interessant. Aber ...“ Er machte eine Pause, als wolle er Spannung aufbauen, bevor er weitersprach. „Haben Sie sich überhaupt gefragt, ob das Thema für unser Publikum relevant ist?“


Tasha runzelte die Stirn. „Natürlich. Es betrifft die Menschen direkt. Viele fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen, und das spiegelt sich in diesen Bewegungen wider.“

James zog die Augenbrauen hoch und schnalzte leise mit der Zunge. „Ach, der Idealismus der Jugend. So inspirierend.“ Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er das nicht ernst meinte. „Aber wissen Sie, was das Problem ist? Die Zuschauer wollen keine Dramen von der Straße. Sie wollen starke Charaktere sehen, große Geschichten - nicht ... nun, alltägliches Elend.“

Tasha spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Aber sie hielt durch und antwortete ruhig: „Ich denke, es ist unsere Aufgabe, auch über die Herausforderungen des Alltags zu berichten. Nicht jede Geschichte ist glamourös, aber das macht sie nicht weniger wichtig.“

James' Lächeln wurde schärfer. Er lehnte sich an seinen Schreibtisch und senkte die Stimme. "Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben, Miss Johnson: Wenn Sie hier überleben wollen, sollten Sie sich nicht an Kleinigkeiten aufreiben. Spielen Sie mit, und wenn Sie Glück haben, bleiben Sie vielleicht länger als nur ein paar Monate."

Tasha biss die Zähne zusammen und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie zwang sich zu einem tiefen Atemzug und sah ihm direkt in die Augen. "Vielen Dank für Ihren Rat, Herr Cross. Aber ich glaube, ich schaffe das schon."

Sein Lächeln gefror, und für einen Moment sah es so aus, als hätte sie ihn aus der Fassung gebracht. Doch dann richtete er sich auf und klopfte mit gespielter Leichtigkeit auf die Tischkante. „Wir werden sehen, Miss Johnson. Wir werden sehen.“

Er drehte sich um und ging. Tasha blieb allein zurück, die Hände fest um die Armlehnen ihres Stuhls gekrallt. Sie wusste, dass es nicht leicht werden würde, sich hier durchzusetzen, aber aufgeben war keine Option.

Als der Arbeitstag zu Ende war, zog sie sich in eine ruhige Ecke des Büros zurück, um durchzuatmen. Sie massierte sich die Schläfen, während der Lärm im Newsroom allmählich verebbte. Gerade als sie sich an den Türrahmen lehnen wollte, meldete sich ihr Synect: Das Wort Unbekannt erschien auf dem Holo-Display.

Zögernd nahm sie das Gespräch an. "Wer ist da?"

Eine verzerrte, künstliche Stimme meldete sich. "Guten Abend, Miss Johnson. Ich bin Herakles, Mitglied des XERO-Kollektivs. Wir beobachten ihre Arbeit. Wir glauben, dass wir gemeinsame Interessen haben."

Tasha runzelte die Stirn. "XERO? Wer seid ihr? Warum kontaktiert ihr mich?"

"Weil du auf der Suche nach der Wahrheit bist. Und wir haben sie. Die Proteste, über die du berichtest, sind nur ein Teil eines größeren Bildes. Wir haben Informationen über zwei Gruppen, die in Blackchester aktiv sind: Anarchy, eine radikale White-Power-Organisation, und AXIS, ein kriminelles Syndikat marginalisierter Gruppen. Ihr Einfluss wächst, und die Medien schweigen."

Tashas Herz schlug schneller. "Beweise?"

"Wir werden dir Daten zur Verfügung stellen. Dossiers, interne Informationen, durchgesickerte Dokumente. Veröffentliche sie, bring die Wahrheit ans Licht."

Ein Ping auf ihrem Synect zeigte eingehende Dateien an. Sie öffnete eine, und ihr Magen zog sich zusammen. Namen, Orte, Strategien - die Beweise waren erdrückend.

Sie atmete tief durch. "Ich werde mir das mal ansehen."

"Vorsicht, Miss Johnson. Wissen ist Macht, aber Macht ist auch gefährlich."

Der Anruf endete. Tasha hatte das Gefühl, an der Schwelle zu etwas Großem, Brandgefährlichem zu stehen. Aber sie hatte keine Wahl. Sie musste den Bericht schreiben.

Stundenlang wertete sie Informationen aus, las Chatverläufe über geheime Treffen, analysierte Geldströme und Strategien. Ihr Kopf dröhnte von der Fülle der Daten, doch es zeichnete sich ein klares Bild ab: Anarchy und AXIS waren nicht nur einfache Extremistengruppen, sie hatten Verbindungen in höhere Kreise, Einfluss auf Politik und Wirtschaft. Und das machte sie so gefährlich.

Mit neuer Entschlossenheit verfasste sie einen detaillierten Bericht, den sie sorgfältig formatierte und an ihren Vorgesetzten weiterleitete. Sie überprüfte noch einmal die Fakten, feilte an einigen Formulierungen und atmete tief durch. Wenige Minuten später stand sie mit den ausgedruckten Seiten in der Hand vor seinem Schreibtisch.

„Mr. Cole, ich habe hier einen Bericht über die neuesten Entwicklungen in Blackchester. Ich denke, er könnte für unsere Leser von großem Interesse sein."

Dominic Cole nahm das Dokument mit gerunzelter Stirn entgegen, überflog die ersten Zeilen und schüttelte dann langsam den Kopf. "Es ist gut geschrieben, Tasha. Aber das Thema? Zu brisant. Zu gefährlich. Das bringen wir nicht."

Tasha spürte, wie sich Frustration in ihr ausbreitete. "Aber es ist eine wichtige Information! Das sind direkte Beweise für Verbindungen zwischen Anarchy und AXIS. Es gibt bereits Zusammenstöße in der Stadt, und die Leute müssen wissen, was wirklich los ist!"

Cole legte das Papier mit einem hörbaren Rascheln auf seinen Schreibtisch. "Ich verstehe deine Aufregung, aber wir sind nicht hier, um einen Krieg mit diesen Gruppen zu provozieren. Außerdem, hast du deine Quelle überprüft? Wer sagt dir, dass diese Informationen nicht manipuliert sind?"

Tasha ballte ihre Hände zu Fäusten. "Ich habe die Hinweise selbst überprüft. Die Gewalt eskaliert, und wenn wir schweigen, machen wir uns mitschuldig."

Cole seufzte, als wäre das Gespräch schon entschieden. "Lass es gut sein, Johnson. Schreib über etwas anderes. Die neuesten Wirtschaftszahlen oder eine Reportage über die neue Verkehrsregelung. Aber das hier? Nicht in meiner Zeitung."

Tasha spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. "Aber es ist wichtig! Die Leute müssen wissen, was hier vor sich geht!"

Er schüttelte den Kopf. "Das ist nicht unsere Entscheidung. Die Chefredaktion wird das niemals absegnen. Die wissen, wie das läuft. Mit diesen Leuten legt man sich nicht an."

Wut stieg in ihr auf, aber sie wusste, dass sie hier nicht weiterkam. Sie nahm das Dokument wieder an sich und verließ das Büro.


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