Kapitel 12 - Altlasten
Malik stand in der Mitte des staubigen, schweißgetränkten Boxrings und blickte auf die drei Jungen, die sich ihm gegenüber aufgestellt hatten. Die Luft im Club war stickig, erfüllt vom Geruch alten Leders, von Schweiß und dem leisen Quietschen der Boxschuhe auf dem abgenutzten Holzboden. Der Raum war schlicht, fast spartanisch eingerichtet, von der Decke hingen ein paar Boxsäcke, an einer Wand hing ein Spiegel, in der Ecke lagen ein paar abgenutzte Pratzen und Handschuhe, die ihre besten Tage längst hinter sich hatten. Malik, ein großer, muskulöser Mann mit tiefschwarzer Haut und Dreadlocks, stand vor den Jungs.
„Jungs“, sagte Malik schließlich mit seiner tiefen, resonanten Stimme. „Heute werden wir an eurer Technik arbeiten. Es geht nicht nur darum, wie hart ihr schlagen könnt, sondern auch wie präzise. Ein sauberer, gezielter Schlag kann mehr bewirken als zehn unkontrollierte.“
Die drei Jungen, alle zwischen vierzehn und sechzehn Jahre alt, nickten eifrig. Sie hatten großen Respekt vor Malik, der nicht nur ihr Trainer war. Für einige war er der einzige Ort, an dem sie sich sicher fühlten, der einzige Ort, an dem sie wussten, dass jemand an sie glaubte.
„Jamal, du bist der Erste“, sagte Malik und deutete auf den Ältesten der drei. Jamal war ein schlaksiger Junge mit scharfen Gesichtszügen und einem wachen, entschlossenen Blick. Er trat vor, die Hände fest in die Bandagen gewickelt, und begann, die Bewegungen auszuführen, die Malik ihm beigebracht hatte.
Malik beobachtete ihn aufmerksam, ging um ihn herum, korrigierte hin und wieder die Stellung der Füße oder die Haltung der Schultern. „Guter Ansatz“, murmelte er, als Jamal einen besonders sauberen rechten Haken landete. „Aber pass auf deine Deckung auf. Du lässt deine linke Seite offen.“
Jamal nickte und versuchte, den Rat sofort umzusetzen. Die beiden anderen Jungen, Darnell und Isaiah, standen am Rande des Rings und beobachteten das Geschehen mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Vorfreude. Sie wussten, dass sie bald an der Reihe sein würden, und jeder wollte Malik beeindrucken.
Als Jamal seine Runde beendet hatte, klopfte Malik ihm anerkennend auf die Schulter. „Gut gemacht. Du wirst besser, das sehe ich. Bleib dran.“
Dann wandte er sich Darnell zu, einem kleineren, aber kräftig gebauten Jungen mit kurzen Locken und einem verschmitzten Lächeln. „Du bist dran. Zeig mir, was du kannst.“
Darnell sprang förmlich in den Ring, seine Bewegungen waren geschmeidig und selbstbewusst. Malik erkannte das Feuer in seinen Augen Darnell war ein Naturtalent, einer, dem das Kämpfen im Blut lag, aber manchmal fehlte ihm die Geduld. „Langsamer, Darnell“, rief Malik, als der Junge zu einer schnellen Schlagkombination ansetzte. „Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern um Präzision.“
Darnell hörte auf den Rat und versuchte, sich zu beherrschen, aber Malik konnte sehen, wie die Energie in ihm brodelte. Er erinnerte sich daran, wie er selbst in Darnells Alter ungestüm gewesen war, voller Kraft und doch oft unkonzentriert. Aber er wusste, dass dies ein Teil des Weges war, den jeder Kämpfer gehen musste.
Schließlich kam Isaiah an die Reihe. Isaiah war ein ruhiger, fast schüchterner Junge mit einer drahtigen Statur und einer unheimlichen Ruhe, die ihn von den anderen unterschied. Malik beobachtete ihn besonders aufmerksam, denn er wusste, dass in diesem stillen Jungen ein großes Potenzial schlummerte, das nur darauf wartete, geweckt zu werden. „Isaiah, atme tief durch und lass dir Zeit“, sagte Malik leise, als der Junge in die Mitte des Rings trat. Isaiah nickte und begann, seine Bewegungen auszuführen, langsam, aber mit einer Präzision, die beeindruckte. Malik konnte sehen, wie das Selbstvertrauen des Jungen mit jedem sauberen Schlag, mit jeder Bewegung wuchs. „Gut, sehr gut“, lobte Malik, als Isaiah seine Runde beendet hatte. „Ihr macht Fortschritte, alle drei. Aber vergesst nicht: Nicht der Körper macht euch stark, sondern der Geist. Ein wahrer Kämpfer gewinnt den Kampf zuerst im Kopf, bevor er ihn im Ring gewinnt.“
Malik hatte sich gerade von den Jungs verabschiedet und warf einen letzten prüfenden Blick auf den Boxring. Schwer atmend, aber zufrieden schloss Malik die Tür des Trainingsraums hinter sich. Die Schreie der Kinder, ihr angestrengtes Rufen bei jeder Bewegung, hallten noch in seinem Kopf nach. In den letzten Minuten des Trainings hatten sie noch einmal alles gegeben - Tritte, Schläge, Ausweichbewegungen. Und er hatte sie angefeuert, mit jedem Schlag und Tritt, der die Pratzen traf, mehr Stolz in den Augen. Die Kleinen hatten gestrahlt, die einen vor Stolz, die anderen vor Erschöpfung. Es war diese Mischung aus Anstrengung und Erfolg, die Malik immer wieder dazu brachte, sich so ins Zeug zu legen.
Doch jetzt, in der Turnhalle des Repast, spürte er die Müdigkeit in seinen Beinen. Seine schwarze Trainingshose klebte an seinen Oberschenkeln, sein Muskelshirt war dunkel durchtränkt. Das Neonlicht des Studios warf kalte Reflexe auf die polierten Oberflächen der Geräte, aber der leichte Geruch von Schweiß und Reinigungsmittel, der den Raum erfüllte, war vertraut und beruhigend.
„Malik! Alles in Ordnung?“
Er drehte sich um und sah Jeremy, einen seiner Trainerkollegen. Der Mann hatte ein schiefes Lächeln aufgesetzt, während er an einer Flasche Elektrolytgetränk nippte.
„Alles in Ordnung“, antwortete Malik mit einem kurzen Nicken. „Die Kinder haben heute wirklich alles gegeben.“
Jeremy grinste. „Das hört sich gut an. Sie haben wirklich viel von dir gelernt. Es ist immer cool, dir zuzuschauen.“
„Danke, Mann.“ Malik lächelte leicht, aber innerlich schob er das Lob schnell beiseite. Er konzentrierte sich darauf, besser zu werden, für die Kinder, für sich selbst.
Er verabschiedete sich von Jeremy und ging zu den Duschen. Der Umkleideraum war leer, nur das monotone Summen der Klimaanlage durchbrach die Stille. Malik warf seine Tasche in die Ecke und zog sich das verschwitzte T-Shirt über den Kopf. Sein Oberkörper glänzte leicht vom Schweiß und den feinen Narben, die sich hier und da über seine Haut zogen.
Das Wasser der Dusche prasselte, kaum dass er den Hahn aufgedreht hatte. Die ersten Tropfen auf seiner Haut ließen ihn scharf einatmen, bevor die Temperatur endlich auf angenehm warm umschaltete. Schnell füllte der Dampf die Kabine und Malik spürte, wie die Anspannung langsam aus seinem Körper wich.
Er seufzt, die warme Dusche löst die letzten Verspannungen in seinen Schultern. Das Plätschern des Wassers war wie ein Rhythmus, der ihn beruhigte, seine Gedanken klärte. Nach einer Weile griff er nach dem Duschgel, der frische Duft von Minze und Eukalyptus weckte ihn ein wenig auf
Als er die Dusche verließ und sich das Handtuch um die Hüften schlang, fiel sein Blick auf den Spiegel. Die nassen Haare klebten an seiner Stirn, das Wasser rann ihm in kleinen Bächen über die Brust. Doch es war sein Blick, der ihn für einen Moment innehalten ließ. Ernst, fast forschend, wie immer.
„Noch ein weiter Weg“, murmelte er leise zu sich selbst.
Er zog sich um, schlicht wie immer, gelbes T-Shirt, Jogginghose, Turnschuhe. Als er den Umkleideraum verließ und die schwere Tür hinter sich zuzog, blieb er abrupt stehen. Vor ihm, im schummrigen Licht des Flurs, stand eine Gestalt.
„Malik.“ Die Stimme war ruhig, aber von einer Schärfe durchdrungen, die ihn sofort aufhorchen ließ. Er erkannte sie, noch bevor sein Blick auf die Züge des Mannes fiel.
„Goliath.“ Maliks Stimme war leise, fast ein Hauch, während sich seine Augen verengten. Der Mann vor ihm war kaum gealtert, dieselbe entschlossene Haltung, derselbe durchdringende Blick. Derselbe kalte Blick, der aus diesen Augen hervorging.
„Lange her, nicht wahr?“ Goliath trat einen Schritt vor, die Hände locker in die Seiten gestemmt. „Du hast dich nicht sehr verändert.“
Malik verschränkte die Arme vor der Brust, spürte die Anspannung, die langsam in ihm aufstieg. „Was willst du?“ Malik sah ihn an. "Wir sind fertig miteinander."
Ein Lächeln huschte über Goliaths Lippen, kalt und freudlos. „Nur reden. Es gibt ... Möglichkeiten, Malik. Möglichkeiten, alte Differenzen beizulegen.“
Malik schnaubte leise. „Alte Differenzen? Du hast mir einen Ausweg angeboten, den ich genutzt habe. Wir sind quitt, du bist deinen Weg gegangen und ich meinen. Da gibt es nichts mehr zu klären.“Goliaths Blick verfinsterte sich. „Deinen Weg, was? Immer der Held wider Willen. Immer auf der richtigen Seite. Aber wie lange willst du das noch durchhalten, Malik? So einfach ist die Welt nicht. Du weißt, wie die andere Seite aussieht. Die, vor der ich dich beschütze.“
„Was denn? Willst du mir jetzt eine reinhauen? Was ist dein Wort wert?“ Maliks Stimme war ruhig, aber die Schärfe dahinter war unüberhörbar. „Ich habe alles getan, was du wolltest.“
„Manchmal muss man Verträge aktualisieren, aber ich lege eine Prämie drauf. Ich gebe einen Namen und eine Adresse.", entgegnete Goliath leichthin. „Die Frage ist nur, ob du bereit bist, alles zu tun.“
Maliks Kiefer verkrampfte sich, aber er blieb standhaft. „Habe ich denn eine Wahl?“
Goliath sah ihn lange an, seine Augen wie kalte Flammen. Dann zuckte er die Schultern. „Mag sein. Aber wir werden uns wiedersehen, Malik. Ich schicke dir die Einzelheiten.“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verschwand im Schatten des Ganges. Malik blieb noch einen Moment stehen, bevor er langsam ausatmete.


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