Kapitel 14 - Wachsfiguren

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Sabine verließ das Büro von Chief Harris. Auf dem Weg zum neuen Büro des Sonderteams konnte sie ihre Gedanken nicht so recht ordnen. Als sie die Tür zum neuen Büro, Raum siebzehn, öffnete, sah sie eine Mischung aus alten und neuen Gesichtern. Richard Corbin saß lässig auf einer Tischkante und grinste breit, als Sabine eintrat.

„Das wird ein Spaß“, sagte er mit einem spöttischen Lächeln. „West, wer hätte gedacht, dass wir noch zusammen arbeiten?“

Sabine ignorierte seinen provokanten Ton so gut es ging und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Eine blonde junge Frau, die Sabine auf Mitte zwanzig schätzte, kam freundlich lächelnd auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.

„Hallo, ich bin Amber Silver“, sagte sie mit warmer, angenehmer Stimme. „Schön, dich kennenzulernen, Sabine. Ich habe schon viel Gutes von dir gehört.“

Sabine lächelte zurück und gab Amber die Hand. „Freut mich auch, Amber.“

In der hinteren Ecke des Raumes stand ein schlanker, rothaariger junger Mann, der ein wenig unbehaglich wirkte, als wüsste er nicht so recht, wohin mit sich. Er hatte die Hände nervös in den Taschen seiner Jeans vergraben und wich Sabines Blick aus.

„Und du musst Sebastian Scott sein“, sagte Sabine freundlich und ging auf ihn zu. Sebastian nickte mit einem schüchternen Lächeln.

„Ja, das bin ich“, murmelte er, fast so leise, dass Sabine es kaum hören konnte. „Es ist, äh, schön, dich kennenzulernen.“

„Keine Sorge, Scott ist ein stilles Genie“, warf Corbin ein, immer noch mit seinem typischen Grinsen im Gesicht. „Er steht nicht gern im Rampenlicht, aber wenn es um Technik geht, gibt es keinen Besseren.“

Sebastian errötete bei Corbins Kommentar und blickte verlegen zu Boden. Sabine lächelte ihn aufmunternd an und setzte sich an den Tisch.

Corbin, immer noch sichtlich amüsiert über die Zusammensetzung des Teams, setzte sich ihr gegenüber: „Tja, sieht so aus, als wäre ich hier der Einzige mit echter Erfahrung“, sagte er mit einem übertriebenen Anflug von Selbstgefälligkeit. "Aber keine Sorge, ich zeige euch, wo's lang geht."

Sabine unterdrückte ein Augenrollen. „Erfahrung ist gut, Corbin, aber ich glaube, wir haben alle etwas beizutragen. Konzentrieren wir uns auf die Arbeit.“

Amber nickte zustimmend, und auch Sebastian hob den Kopf und sah Sabine anerkennend an. In diesem Moment spürte Sabine, dass sie sich trotz aller Herausforderungen in diesem Team behaupten konnte. Sie hatte die Fähigkeiten und vor allem den Willen, etwas zu bewegen.

„Also, was wissen wir über die Leichen?“, fragte Sabine und versuchte, das Gespräch in eine produktive Richtung zu lenken.

Corbins Grinsen verschwand, als er den ernsten Ton in Sabines Stimme hörte. „Es ist wirklich ein seltsamer Fall“, begann er und schob eine Mappe über den Tisch. „Aber bevor wir ins Detail gehen, sollten wir uns alle einig sein, dass dies kein gewöhnlicher Fall ist.“


Amber öffnete die Mappe und begann, die Unterlagen durchzusehen, während Sebastian nervös mit einem Tablet in der Hand herumspielte. Sabine lehnte sich zurück und nickte. 

Amber legte ihr Tablet auf den Tisch und ein Hologramm erschien darauf, eine dreidimensionale Ansicht eines menschlichen Körpers. Das Bild drehte sich langsam, die Details waren erschreckend klar. Der Körper, den sie zeigte, sah aus wie eine perfekt geformte Wachspuppe, aber die schreckliche Wahrheit wurde schnell deutlich.

„Wie ihr seht“, begann Amber und deutete auf das Hologramm, „ist dies keine gewöhnliche Wachsfigur. Dieser Mensch wurde nach seinem Tod mit Wachs ausgegossen und dann vollständig mit einer dicken Wachsschicht überzogen. Der Prozess war so präzise, dass er fast wie eine natürliche Statue aussieht.“

Sabine beugt sich vor, um die Details besser erkennen zu können. Der Gesichtsausdruck des Opfers war seltsam friedlich, fast so, als wäre die Person im Schlaf gestorben. Aber die leblosen Augen und die unnatürliche Starre des Körpers erzählten eine andere, schrecklichere Geschichte.

„Wir fanden diese Szene in einem abgelegenen Haus“, fuhr Amber fort. Ihre Stimme war ruhig, aber man konnte die Angst in ihren Worten hören. „Es gab zwei Leichen, beide gleich behandelt, und sie waren in einer Art inszenierter Familiensituation arrangiert, als würden sie ein ganz normales Abendessen teilen.“

„Wie makaber“, murmelte Sabine und legte die Stirn in Falten. „Das klingt, als hätte der Täter nicht nur großes handwerkliches Geschick, sondern auch ein sehr verdrehtes Verständnis von Familie.“

Sebastian, der bisher schweigend zugehört hatte, trat einen Schritt näher. „Die Details sind beunruhigend genau“, sagte er leise. „Es war nicht einfach ein Mord, es war eine Inszenierung. Der Täter hat sich dafür Zeit genommen. Vielleicht war es sogar eine Art Kunstwerk für ihn.“

„Ein Kunstwerk?“ Corbin lachte trocken, aber ohne echte Fröhlichkeit. „Wenn das Kunst ist, dann bin ich ein guter Mensch. Ekelhafte Scheiße ist das. Der Typ ist krank!"

Amber nickte und deutete auf die Szenerie, die sie vorgefunden hatten: „Das ist noch nicht alles. Neben dem Tisch, auf dem die Leichen lagen, haben wir Kinderzeichnungen gefunden. Es sieht so aus, als hätte der Täter genau geplant, wie diese 'Szene' aussehen soll. Es war fast wie ein perverses Theaterstück.“

Sabine dachte kurz nach. „Standen die Opfer in irgendeiner Beziehung zueinander? Wurden sie bewusst ausgewählt oder könnte es Zufall gewesen sein?“

Amber schüttelte den Kopf. „Wir arbeiten noch daran, die Identitäten der Opfer vollständig zu bestätigen, aber die ersten Hinweise deuten darauf hin, dass sie in keiner erkennbaren Beziehung zueinander standen. Es könnte sein, dass der Täter sie nur aufgrund ihrer körperlichen Merkmale oder persönlichen Vorlieben ausgewählt hat.“

„Es wird nicht einfach“, sagte Sabine schließlich und blickte in die Runde. „Aber wir müssen schnell handeln. Wenn er es einmal getan hat, könnte er es wieder tun.“

Stuart eilte herbei und setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf, der seine gewohnte Gelassenheit verriet. In der Hand hielt er eine Mappe, die er schnell auf den Tisch legte.

„Ich habe hier noch ein paar Hinweise, die sich aus der genauen Untersuchung des Tatorts und den forensischen Berichten ergeben haben“, begann Stuart ohne Umschweife und reichte Amber die Mappe. 

„Was hast du für uns?“, fragte Sabine, die sofort hellhörig wurde. 

Amber blätterte in der Mappe und zog einige Fotos und Berichte heraus. „Die Spurensicherung hat etwas Interessantes gefunden. Es gibt Hinweise darauf, dass das Wachs, mit dem die Leichen gefüllt wurden, eine besondere Zusammensetzung hat. Der Täter scheint es selbst hergestellt oder zumindest verändert zu haben. Die chemische Analyse zeigt Spuren von bestimmten seltenen Substanzen, die nicht leicht zu beschaffen sind.

„Das könnte uns helfen, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen“, sagt Corbin, während er sich die Bilder genauer ansieht. „Wenn wir herausfinden können, woher diese Substanzen stammen oder wer Zugang dazu hat, haben wir vielleicht eine heiße Spur.“

Amber nickte. „Genau das habe ich auch gedacht. Außerdem haben wir Abdrücke von einem speziellen Werkzeug gefunden, mit dem das Wachs in die Körper eingebracht wurde. So etwas findet man in keinem normalen Geschäft. Das könnte eine Spezialanfertigung sein.

„Das bestätigt den Verdacht, dass der Täter sehr methodisch vorgegangen ist“, sagt Sabine nachdenklich. „Er hat nicht nur die Leichen präpariert, sondern auch spezielle Werkzeuge entwickelt. Das deutet auf eine langfristige Planung hin.“

Bevor jemand etwas sagen konnte, schrillte plötzlich ein durchdringender Alarm durch den Raum. Der schrille Ton ließ alle zusammenfahren. Das rote Licht des Notfallalarms blinkte unheilvoll in einer Ecke des Raumes.

„Was zum...?“, begann Sabine, doch bevor sie ihre Frage beenden konnte, wurde die Tür erneut aufgerissen und ein junger Kollege stürmte atemlos und sichtlich beunruhigt herein.

„Neue Leichen!“, keuchte er. „Es wurden weitere Leichen gefunden, in ähnlichem Zustand wie die ersten beiden. Diesmal in einem verlassenen Lagerhaus am Stadtrand. Es sieht so aus, als hätte der Täter wieder zugeschlagen!“

Angespannte Stille legt sich über den Raum. Sabine fasst sich als erste und blickt in die Runde. „Wir müssen sofort hin. Wenn der Täter wirklich wieder zugeschlagen hat, könnte es dort Hinweise geben, die uns endlich auf seine Spur bringen.“

Corbin stand auf und griff nach seiner Jacke. „Gehen wir, bevor wir zu spät kommen.“

Amber suchte schnell ihre Unterlagen zusammen.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte Sabine entschlossen. 

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