Kapitel 4 - Axis

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Der Wind heulte leise durch die verlassenen Straßen von Blackchester, während dunkle Wolken tief über der Stadt hingen. In der Ferne surrten Skidcars über die Hochspannungsleitungen und tauchten die verfallenen Gebäude mit ihrem schwachen Licht in ein unruhiges Flackern. Hier, am Rande der Stadt, stand ein altes, längst vergessenes Gebäude. Ein verlassenes Biologielabor, das einst zum großen Chemiekonzern Vant gehört hatte. Über den Eingang hinweg zog sich ein Riss im Beton, als hätte die Zeit selbst versucht, das Gebäude zu verschlingen. Das Labor lag still und dunkel, nur das entfernte Flimmern der holografischen Werbetafeln aus der Innenstadt warf ab und zu gespenstische Schatten auf die einst imposante Fassade. Vor vielen Jahren hatten hier Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker an der Schnittstelle von Biologie und Chemie gearbeitet, Experimente durchgeführt, die die Grenzen des menschlichen Wissens erweitern sollten. Hinter einem halb zerbrochenen Fenster ragt ein verrotteter Schreibtisch in den Raum. An den Wänden hingen verblichene Poster und alte Diagramme. Von der Decke hing ein holografischer Projektionsschirm, der schon lange nicht mehr funktionierte. Mit einem leisen Zischen öffnete sich die schwere Eingangstür. Über der Hand des Mannes, der über die Schwelle trat, leuchtete ein Hologramm in schimmerndem Blau. Seine Augen huschten durch den Raum, während er tief einatmete. Der Geruch von abgestandenem Staub und verrottendem Material erfüllte seine Lungen. „Das ist es“, murmelte er zu sich selbst und ließ das Hologramm verschwinden. „So sieht es also aus, wenn die Zeit selbst aufgibt.“ Er trat einen Schritt vor, seine Stiefel knirschten auf dem bröckelnden Boden. Die Luft war schwer, fast erstickend. Vor ihm erstreckte sich ein langer Gang, an dessen Ende ein undurchdringlicher Schatten lag. Plötzlich hörte er ein leises Klicken und blieb abrupt stehen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er ins Dunkel. „Ist da jemand?“, rief er, seine Stimme hallte von den Wänden wider. Nichts. Nur das Summen einer alten Leitung, die irgendwo unter dem Boden verlief. Er schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war es nur der Wind, der durch die Ritzen im Mauerwerk pfiff. Er ging weiter, trat durch eine angelehnte Tür in einen Raum, der einmal ein Labor gewesen war. Überall lagen verstaubte Utensilien und zerbrochene Flaschen herum. Auf einem der Tische stand eine alte Vigorgel, die schon lange ausgetrocknet war. Er streckte die Hand aus und berührte sie. „Es ist lange her“, murmelte er und sah sich weiter um.

Seine Gruppe war ihm gefolgt, schweigende Männer und Frauen. Der Mann, der zuerst ins Labor gekommen war, ein schmaler Kerl mit einer Narbe quer über dem Gesicht, wich zögernd zurück, als ein massiger Mann an ihm vorbeiging. „Goliath...“, murmelte der Mann, während er sich immer noch unbehaglich an sein holographisches Menü klammerte. „Wer hat dir erlaubt, hierher zu kommen, bevor ich es dir gesagt habe, Cedar?“ Goliaths tiefe Stimme hallte durch den Raum. Sein Blick fiel auf den kleineren Mann, der ihn nur mit einem unsicheren Nicken ansah. „Ich dachte nur, ich könnte ...“ Cedar verstummte, als Goliath seine bionische Hand hob, eine Geste, die keinen Widerspruch duldete. Der kybernetisch verbesserte Mann schüttelte leicht den Kopf und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, als suche er etwas Bestimmtes. „Wir haben keine Zeit für Fehler“, sagte Goliath, und seine Augen funkelten vor kühler Berechnung. „Wir sind hier, um Hinweise auf Anarchy zu finden.“ „Anarchy? Er ist doch einer von uns, oder?“ „Er ist ein ...“, sagte Goliath mit einer Stimme, die nach stillem Zorn klang. „Er hat für mich gearbeitet, bis er beschlossen hat, seine eigenen Geschäfte zu machen. Er dreht völlig frei. Das war nicht Teil unserer Abmachung. “„Und du glaubst, er ist hier?“, fragte die Cedar vorsichtig. Goliath kam näher, der Boden vibrierte leicht unter seinen schweren Stiefeln. Er schnaufte, während er den Raum absuchte. „Er hat sich hier irgendwo versteckt. Glaubst du, ich wäre in dieses miese Loch gekommen, wenn ich mir nicht sicher wäre?“ Goliath zog eine Karte aus der Tasche und projizierte ein Hologramm auf den Tisch vor ihm. „Wir haben nicht viel Zeit“, sagte er knapp. „Anarchy glaubt, er kann mir entkommen.“ Goliath stand vor dem Holoprojektor, das kalte blaue Licht der Hologrammkarte spiegelte sich in seinen dunklen Augen, während er die Details der Stadt überprüfte. Seine Geduld war am Ende. Mit einem tiefen Atemzug, der wie das Brummen einer Maschine klang, hob er den Kopf und suchte die Gestalt seines besten Mannes. „Brick!“, rief er laut durch den Raum, seine Stimme hallte wider und ließ die leeren Wände vibrieren.
Brick, ein massiger Kerl mit breiten Schultern, trat aus den hinteren Reihen der Gruppe. Sein muskulöser Oberkörper war nackt und von Kopf bis Fuß mit schwarzen, symbolischen Tätowierungen bedeckt. Sein kantiges Gesicht war von einem braunen Irokesenschnitt geziert, der ihm ein unverwechselbares, furchterregendes Aussehen verlieh. Seine dunkelbraunen Augen funkelten gefährlich, als er sich seinem Anführer näherte. „Was gibt’s, Boss?“, fragte Brick mit tiefer, rauer Stimme und blieb vor Goliath stehen. Goliath sah ihn kurz an und verschränkte dann die Arme. „Anarchy. Ich will, dass du ihn findest.“ Brick nickte langsam, ohne eine Miene zu verziehen: „Kein Problem. Ich stelle ein Team zusammen.“ „Das hoffe ich“, sagte Goliath ruhig, aber seine Worte hatten das Gewicht einer Drohung. „Anarchy kennt unsere Pläne und ist mit deinen beiden Angestellten geflohen. Wenn die plötzlich für ihn arbeiten, wird das nicht nur unseren Ruf zerstören, sondern uns auch in große Schwierigkeiten bringen. Wir brauchen ihn lebend. “Brick grinste breit, die Adern auf seinen muskulösen Armen traten hervor, als er sich vorstellte, was er mit Anarchy vorhatte. „Verstanden. Ich werde ihn finden.“ „Wir treffen uns in zehn Minuten am Ausgang“, rief Brick seinen Männern zu, drehte sich um und ging zum Ausgang. Goliath sah Brick und seiner Einheit nach. Der Cyborg ballte seine bionische Faust, das Metall knirschte bedrohlich. Nachdem Brick und sein Team den Raum verlassen hatten, drehte sich Goliath langsam zu den verbliebenen Mitgliedern seiner Organisation um. Sein Gesicht war hart, sein Blick kalt und berechnend. „Hört mir gut zu“, begann er. 


„Anarchy kennt unsere Operationsbasen. Er weiß, wo wir unsere Ressourcen lagern und er kennt die Schwachstellen unserer Stützpunkte. Wenn er glaubt, uns unter Druck setzen zu können, irrt er sich gewaltig.“ Er trat einen Schritt vor und das leise metallische Geräusch seiner bionischen Beine unterstrich die Drohung, die in jedem seiner Worte mitschwang. „Ich will, dass alle unsere Stützpunkte gesichert werden. Und zwar sofort. 
Kein Zentimeter des Axis-Territoriums darf ungeschützt bleiben. Die Anarchy darf keinen Zugriff auf unsere Ressourcen bekommen, keine Schwäche ausnutzen. Verstärkt die Sicherheitsmaßnahmen, verdoppelt die Wachen, aktiviert jedes verdammte Überwachungssystem, das wir haben.“ Die Mitglieder der Axis wurden unruhig, nervöses Gemurmel ging durch die Reihen. Doch Goliath unterbrach es mit einem harten Faustschlag auf den Tisch. „Respekt!“, rief er mit einem wütenden Funkeln in den Augen. Seine Untergebenen zuckten zusammen. Goliath ging direkt auf Cedar zu, der immer noch blass und unsicher wirkte. „Du kümmerst dich um den nördlichen Sektor. Sorge dafür, dass dort keiner unserer Außenposten angegriffen wird. Hast du verstanden?“ Cedar nickte hastig, während ihm der Schweiß auf die Stirn trat. „Ja, Boss. Ich ... werde mich sofort darum kümmern.“ Goliath wandte sich an die anderen. „Und der Rest von euch schwärmt aus. Ich will, dass jeder Sektor dieser Stadt und jede Operationsbasis von Axis überwacht wird. Jeder, der Anarchy sieht, meldet das sofort. Niemand handelt auf eigene Faust.“ Die Männer und Frauen um ihn herum reagierten sofort, nickten und machten sich bereit. „Wir sind Axis“, fügte Goliath mit düsterer Stimme hinzu und löste die Versammlung mit einem letzten Blick über die Schulter auf. „Und niemand entkommt uns.“ Die schweren Schritte der letzten Mitglieder verklangen und bald war es wieder still. Der kalte Wind wehte wieder durch die Ritzen des alten Gebäudes und nur das leise Summen der Stromleitungen erfüllte die Dunkelheit. Goliath blieb zurück, allein in dem stillen Raum, der einst ein Zentrum der Forschung gewesen war. Seine massigen Schultern sanken leicht, als er sich langsam auf einen der alten, rostigen Stühle setzte. Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht, aber er achtete nicht darauf. "Vielleicht dann doch... er sollte die einzige Möglichkeit sein, wenn sie scheitern." flüsterte er vor sich hin. Sein mechanischer Arm lag schwer auf dem Tisch vor ihm, während er die Augen schloss und tief durchatmete. Hier, in dieser Dunkelheit, war er nicht der gefürchtete Cyborg, der die Unterwelt von Blackchester in seinem eisernen Griff hielt. Goliath ballte seine mechanische Faust, das kalte Metall drückte sich in seine fleischige Handfläche. Er atmete tief ein, hielt den Atem kurz an und öffnete dann langsam die Augen. Die Kälte des verlassenen Labors kroch ihm in die Knochen. Nicht in seiner Position. Nicht, solange er noch lebte. Mit einem letzten langen Atemzug erhob er sich. Die Zeit der Ruhe war vorbei. 

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