Kapitel 6 - Custodian

Startseite                                                                                                                         Kapitelübersicht


Samuel ging nicht ins Bett, wie er es in den letzten Tagen getan hatte. Sein Ehrgeiz war geweckt. Bisher hatte man fantastische technische Errungenschaften erzielt, aber die KI für Androiden war seit Jahrhunderten nicht ausgereift. Er widmete sich also dem Androiden in der Werkstatt seines Vaters. Die Werkstatt befand sich im Keller des Hauses und war trotz der zehn Jahre, die seit dem Tod des Vaters vergangen waren, in einem optimalen Zustand. Er hatte den Androiden fast vollständig zerlegt, um einige Verbesserungen und Reparaturen vorzunehmen. Das Licht mehrerer Lampen erhellte die Arbeitsfläche, während Samuel konzentriert an den filigranen Schaltkreisen und Hydrauliksystemen arbeitete. Er war tief in Gedanken versunken, jede Bewegung seiner Hände war präzise und routiniert. 

Die Monitore an den Wänden zeigten schematische Darstellungen des Custodian-Systems und die neuesten Berichte und Nachrichten von Pretorius Tech. Samuel widmete sich einer Schachtel, die er als Kind oft mit seinem Vater benutzt hatte. Edmond Palmer, sein Vater, hatte ihm schon als Kind das Schrauben und Basteln beigebracht. Er öffnete die Kiste in der Hoffnung, dass ihm beim Anblick des Inhalts die Idee für die KI kommen würde. Er griff nach dem Multifunktionswerkzeug, mit dem er schrauben, schweißen und löten konnte. Er leerte die Kiste und sah einen Kratzer, den er im Eifer des Gefechts in die Kiste gemacht hatte. Doch dann bemerkte er, dass auf der anderen Seite des Kratzers ein Kratzer war, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Er nahm das Werkzeug und fuhr mit den Spitzen entlang des Kratzers, um herauszufinden, was passiert war. Der Schraubendreher war etwas zu groß. Die Lötspitze war etwas zu klein und der Kratzer war zu rund, weil das Lot von der Seite zugeführt wurde. Zuletzt testete er die Lötspitze, kratzte an der Rille entlang und plötzlich klickte es: An der Seite der Schachtel öffnete sich ein Schlitz. Ein kleiner Datenstick kam heraus. Er steckte ihn in einen Projektor und sah einen Code holografisch vor sich schweben. "Das ist es." Sein Vater musste mit dem Custodian weiter vorangekommen sein, als er ihm damals erzählt hatte. Samuel nahm den Stick und steckte ihn in den Schädel des Custodians. Nachdem Samuel die letzten Verbindungen überprüft und den letzten Schraubenzieher zur Seite gelegt hatte, aktivierte er den Custodian. Ein leises Summen erfüllte den Raum, als der Android zum Leben erwachte. Die Augen des Custodian leuchteten auf und eine sanfte, modulierte Stimme erklang.

„Willkommen, Benutzer. Bitte wählen Sie eine Stimme: Divers, weiblich oder männlich.“
Samuel zögerte einen Moment. „Scheiße, es funktioniert." Er atmete kurz durch, dann entschied er sich. "Divers.“
Die Stimme veränderte sich leicht und klang nun ausgeglichener, eine perfekte Mischung aus den beiden Extremen.
„Stimme: Divers. Bitte wählen Sie einen Namen für diesen Custodian.“
Samuel überlegte einen Moment. „Tavin. Dein Name ist Tavin.“
„Name akzeptiert. Willkommen, Tavin“, antwortete der Custodian, seine Augen leuchteten kurz auf, als das System die Einstellungen speicherte. „Was kann ich für Sie tun, Samuel?“
Samuel lächelte zufrieden. „Du hast meinen Namen aus dem Internet?“
Tavin nickte und das Licht in seinen Augen flackerte, als er sich in das Netzwerk von Pretorius Tech einloggte und begann, weitere Informationen zu sammeln. „Ich werde meine Informationsbasis sofort erweitern.“
„Ich habe auch Informationen über Ihre jüngsten Aktivitäten“, fuhr Tavin fort. „Sie sind vor kurzem nach Saint Veronika zurückgekehrt, und ich bin ein Projekt ihrer Gruppe. Sie haben sechs Nächte an mir gearbeitet. Zweiunddreißig Stunden insgesamt.
Samuel lächelte leicht. „Das stimmt. Und was hältst du von mir, Tavin?“


Tavins Augen flackerten kurz auf, während er eine Analyse durchführte. „Meine Datenbank enthält grundlegende Informationen über Sie, Samuel Palmer. Sie sind fünfunddreißig Jahre alt, ein erfahrener Techniker und der Erbe von Pretorius Tech, dem größten Technologieunternehmen der Vereinigten Lande. Sie haben die letzten zehn Jahre damit verbracht, die Welt zu bereisen und Erfahrungen zu sammeln. Ihre Eltern, Edmond Palmer und ihre Mutter, Vanessa Palmer, sind verstorben. Der Tod von Edmond Palmer vor zehn Jahren war der Auslöser für Ihre Reisen. Ihre Mutter starb drei Jahre zuvor an einer schweren Krankheit. Sie scheinen eine entschlossene und fähige Führungspersönlichkeit zu sein. Sie sind technisch versiert und zeigen einen starken Willen, Probleme zu lösen und Herausforderungen anzunehmen. Ihre Entscheidung, die Welt zu bereisen, deutet auf ein Streben nach Wissen und Erfahrung hin, das Sie zu einer umfassend gebildeten und anpassungsfähigen Person macht. Ihre Beziehungen zu Kollegen und Freunden zeugen von Loyalität und Vertrauen. Freunde, dachte Samuel, jedenfalls nicht hier in Saint Veronique. Er lachte, und Tavins Blick wurde teilnahmslos.
Wieder nickte Samuel, zufrieden mit der Antwort. „Gut. Es ist wichtig, dass wir uns verstehen, Tavin.“
„Ich bin hier, um zu helfen“, antwortete Tavin. „Was sind Ihre nächsten Schritte, Samuel?“ Samuel lehnte sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete Tavin eine Weile, bevor er die Frage stellte, die ihm schon eine Weile auf der Zunge lag. „Tavin, was genau sind deine Fähigkeiten?“
Tavins Augen leuchteten wieder auf, als er antwortete. „Ich bin ein multifunktionaler Wächterandroide, der für eine Vielzahl von Aufgaben entwickelt wurde. Hier ist eine Liste meiner wichtigsten Fähigkeiten:

Ich kann große Datenmengen schnell analysieren, Muster erkennen und relevante Informationen extrahieren. Dazu gehört die Überwachung von Netzwerken, das Sammeln von Daten aus verschiedenen Quellen und das Erstellen von Berichten. Ich kann in mehreren Sprachen kommunizieren und als Vermittler oder Verhandlungsführer auftreten. Meine Kommunikationsfähigkeiten umfassen auch das Erkennen von Emotionen und nonverbalen Hinweisen, um effektiver interagieren zu können. Ich kann Sicherheitssysteme überwachen, Eindringlinge erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Ich kann physische Bedrohungen analysieren und geeignete Schutzstrategien entwickeln. Ich kann technische Geräte warten, reparieren und modifizieren. Dazu gehören sowohl Hard- als auch Softwarekomponenten. Ich verfüge über überdurchschnittliche Kraft und Beweglichkeit, die es mir ermöglichen, schwere Lasten zu tragen und in Gefahrensituationen effektiv zu reagieren. Ich kann mich schnell bewegen und komplexe Aufgaben ausführen, die eine präzise Koordination erfordern. Ich verfüge über medizinische Grundkenntnisse und kann in Notfallsituationen Erste Hilfe leisten. Dazu gehören die Stabilisierung von Verletzungen, Reanimationsmaßnahmen und die Verabreichung von Medikamenten. Ich bin in der Lage, verschiedene Systeme in Echtzeit zu überwachen, z. B. Energieversorgung, Klimakontrolle und Sicherheitsüberwachung. Meine Fähigkeiten ermöglichen es mir, Anomalien zu erkennen und sofort Maßnahmen zu ergreifen. Ich bin in der Lage, aufgrund der analysierten Daten und der gesetzten Prioritäten selbständig Entscheidungen zu treffen. So kann ich effizient auf veränderte Situationen reagieren."

Samuel nickt beeindruckt. „Das sind beeindruckende Fähigkeiten, Tavin. Was ist mit kreativen Aufgaben oder strategischer Planung?“
Tavin antwortet prompt: „Ich kann auch kreative Lösungen entwickeln und strategische Pläne erstellen. Meine Algorithmen berücksichtigen eine Vielzahl von Variablen und möglichen Szenarien, um optimale Entscheidungen zu treffen. Außerdem kann ich Simulationen durchführen, um verschiedene Strategien zu testen und ihre Wirksamkeit zu bewerten.“
„Gut, das könnte sehr nützlich sein. Wie gut kannst du mit Menschen umgehen?
„Meine Kommunikationsmodule sind darauf ausgerichtet, einfühlsam und effektiv zu interagieren. Ich kann emotionale Zustände erkennen und darauf reagieren, um die Interaktion positiv zu beeinflussen. Dazu gehört auch, Konfliktsituationen zu entschärfen und Vertrauen aufzubauen.“
Samuel stand auf und ging zum Fenster, um auf die Stadt zu schauen, sah Tavin an und überlegte kurz, bevor er eine Entscheidung traf. „Tavin, ich möchte, dass wir in Kontakt bleiben. Kannst du dich in mein Synect einloggen?“
Tavin nickte und antwortete sofort. „Natürlich, Samuel. Bitte aktivieren Sie die Verbindungsfunktion auf Ihrem Synect.“
Samuel hob sein Handgelenk und aktivierte die entsprechende Option auf seinem Synect. Ein holografisches Interface erschien über seinem Handgelenk und er sah, wie Tavin die Verbindung herstellte. Eine kurze Bestätigungsmeldung blinkte auf und Samuel spürte ein leichtes Vibrieren, als die Verbindung hergestellt war.
„Die Verbindung ist jetzt aktiv“, sagte Tavin. „Wir können jetzt jederzeit miteinander kommunizieren und ich kann Sie in Echtzeit unterstützen.“
„Perfekt“, sagte Samuel und ließ seinen Arm wieder sinken. „Das wird sehr nützlich sein.“
"Was meinst du?", fragte Samuel nachdenklich.
"Ich wäre vorsichtig, denn ich bin lernfähig. Ich höre auf meinen Besitzer und könnte ausgenutzt werden. Ich würde ihn vor problematischen Handlungen schützen." 
"Kannst du dein System so umschreiben, dass es das garantiert, damit die nächsten Hüter besser kontrolliert werden? Aber du musst so bleiben, wie du bist."
"Ich werde die Programmierung anpassen und sie ihnen zur Verfügung stellen."

Plötzlich hallte eine holografische Nachricht durch den Raum. Samuel hatte eine holografische Nachrichtenstation aufgebaut. Damit können Nachrichten aus aller Welt automatisch abgespielt werden. "Olivia Grant für WNN. Letzte Nacht gab es einen schrecklichen Unfall in Saint Veronica. Zwei Menschen wurden in einem Müllwagen gefunden. Sie hatten schwere Bisswunden. Der Gerichtsmediziner hat sie obduziert und festgestellt, dass Gift aus ihren Körpern entwichen ist. Leider hat die Polizei von Saint Veronika bestätigt, dass der Gerichtsmediziner an diesem Gift gestorben ist. 
"Das ist wirklich schlimm", sagte sich Samuel.

Vorheriges Kapitel                                                                                                            Nächstes Kapitel

Kommentare